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Das große Haus (German Edition)

Das große Haus (German Edition)

Titel: Das große Haus (German Edition)
Autoren: Nicole Krauss
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nachdem es sich in meinem innersten Kern eingenistet hatte, sein hässliches Haupt erhoben.
    Fünf Tage nach dem ersten Anfall rief ich Dr.   Lichtman an. Mit dem Ende meiner Ehe hatte ich die Sitzungen bei ihr eingestellt und die Idee allmählich aufgegeben, großartige Renovierungsarbeiten an den Fundamenten meines Selbst zu unternehmen, um mich gesellschaftsfähiger zu machen. Ich hatte mich mit den Konsequenzen meiner natürlichen Neigungen abgefunden und ließ meine Gewohnheiten, nicht ohne Erleichterung, in ihren ursprünglichen Zustand, ohne Korsett, zurückgleiten. Seitdem war ich nur gelegentlich zu ihr gegangen, wenn ich aus einer lange andauernden Stimmung keinen Ausweg fand; dafür traf ich sie, weil sie in der Nachbarschaft wohnte, öfter auf der Straße, dann winkten wir uns zu, hielten kurz inne, als wollten wir stehen bleiben, und gingen doch weiter unserer Wege, wie zwei Menschen, die sich einmal nahe waren, es aber nicht mehr sind.
    Es bedurfte einer gargantuesken Anstrengung, um mich von meiner Wohnung in ihre neun Blocks entfernte Praxis zu befördern. Unterwegs musste ich in regelmäßigen Abständen anhalten und mich an irgendeinen Pfosten oder ein Geländer klammern, etwas Festes, das mir ein Gefühl von Beständigkeit verlieh. Als ich in Dr.   Lichtmans Wartezimmer saß, inmitten der dort aufgestellten Sammlung evokativer, vergilbter Bücher, war mein Hemd unter den Armen schweißgetränkt, und als dann die Tür aufging, als sie erschien, Licht das feingesponnene, goldschimmernde Haar ihrer Hochfrisur durchströmte, die sie seit zwei Jahrzehnten unverwechselbar, wie ich es nie an jemand anderem gesehen habe, turmartig aufgebauscht trug, als hätte sie schnell etwas verstecken müssen und es dort hingetan, stürzte ich mich fast auf sie. Zusammengekauert in die vertraute graue Wollcouch geschmiegt, erneut umgeben von jenen Gegenständen, auf die ich in der Vergangenheit so oft gestarrt hatte, dass sie mir jetzt wie Wahrzeichen auf der Landkarte meiner Psyche vorkamen, beschrieb ich die vergangenen zwei Wochen. Im Lauf der eineinhalb Stunden (sie hatte es bewerkstelligt, mir eine Doppelstunde einzurichten) kehrte ganz langsam, zögerlich, wieder ein Gefühl von Ruhe in mir ein, zum ersten Mal seit Tagen. Und noch während ich darüber sprach, wie die Panik mich vollständig außer Gefecht setzte, noch während ich von meinem Gefühl berichtete, in den Klauen eines Monsters zu sein, das mich gleichsam aus dem Nichts angesprungen und mich mir bis zur Unkenntlichkeit entfremdet hatte, begann ich auf einer anderen Gedankenebene, befreit vom Grübeln über das, was jetzt von Dr.   Lichtman begleitet wurde, eine Idee zu fassen, die vollkommen grotesk war, Euer Ehren, außer dass sie mir einen Ausweg verhieß. Das Leben, das ich gewählt hatte, ein Leben, in dem andere weitgehend abwesend waren, das sicher jener Bindungen entbehrte, die den meisten Menschen einen Zusammenhalt verschaffen, ergab nur einen Sinn, wenn ich genau die Sorte schriftstellerischer Arbeit machte, um deretwillen ich mich abgesondert hatte. Es wäre falsch zu sagen, solche Lebensbedingungen seien eine Zumutung. Etwas in mir wanderte von selbst aus dem Getümmel ab, widmete sich lieber der wohlüberlegten Bedeutung von Romanen als der unerklärten Wirklichkeit, lieber einer formlosen Freiheit als der Knochenarbeit, meine Gedanken mit der Logik und dem Fluss eines anderen zu paaren. Wenn ich das irgendwie nachhaltig versucht hatte, zuerst in Beziehungen, dann in meiner Ehe mit S, war es fehlgeschlagen. Rückblickend besteht der einzige Grund, warum ich mit R eine Zeitlang glücklich sein konnte, vielleicht darin, dass er ebenso abwesend war wie ich, oder sogar mehr. Wir waren zwei Menschen, die beide in Anti-Gravitationsanzügen steckten und zufällig um dieselben alten Möbelstücke seiner Mutter kreisten. Dann war er abgedriftet und hatte sich durch irgendein Schlupfloch unserer Wohnung in einen unerreichbaren Teil des Kosmos entfernt. Dem waren eine Reihe zum Scheitern verurteilter Beziehungen gefolgt, dann meine Ehe, und als S und ich auseinandergingen, hatte ich mir geschworen, es solle mein letzter Versuch gewesen sein. In den fünf oder sechs Jahren, die seitdem vergangen sind, hatte ich nur kurze Affären, und wenn ein Mann mehr daraus machen wollte, lehnte ich ab, brachte die Sache bald zu Ende und kehrte allein in mein Leben zurück.
    Aber was nun damit, Euer Ehren? Was nun mit meinem Leben? Sehen Sie, ich dachte …
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