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Das große Haus (German Edition)

Das große Haus (German Edition)

Titel: Das große Haus (German Edition)
Autoren: Nicole Krauss
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Man muss ein Opfer bringen. Die Freiheit, für die ich mich entschieden hatte, bestand in langen, planlosen Nachmittagen, an denen nichts geschieht außer einem Anflug von veränderter Stimmung, wie er sich in einem Semikolon einfangen lässt. Ja, das war für mich Arbeit, eine verantwortungslose Übung in reiner Freiheit. Und wenn ich den Rest vernachlässigt oder gar ignoriert habe, so weil ich glaubte, der Rest sei nur darauf aus, diese Freiheit zu beschneiden, einzugreifen und ihr einen Kompromiss aufzunötigen. Die ersten Worte, die mir aus dem Mund kamen, wenn ich morgens mit S sprach – und schon fingen die Zwänge, fing die falsche Höflichkeit an. Gewohnheiten werden geformt. Freundlichkeit geht über alles, Entgegenkommen, geduldiges Interesse zeigen. Aber man muss auch versuchen, unterhaltsam und amüsant zu sein. Das ist anstrengende Arbeit, auf die gleiche Weise, wie es anstrengend ist, drei oder vier Lügen gleichzeitig am Laufen zu halten. Nur um sie morgen und übermorgen zu wiederholen. Man hört ein Geräusch, und es ist die Wahrheit, die sich in ihrem Grab umdreht. Die Imagination stirbt einen langsameren Tod, durch Ersticken. Man versucht, Mauern aufzubauen, den Platz abzuschotten, wo man in seinem eigenen kleinen Reich arbeitet, in einem anderen Klima und mit anderen Regeln. Aber die Gewohnheiten sickern dennoch ein wie vergiftetes Grundwasser, und alles, was man dort gepflanzt hat, erstickt und welkt. Was ich sagen will, ist, dass mir schien, man kann nicht beides haben. Also habe ich ein Opfer gebracht und ließ es fahren.
    Die Idee, die mir während der ersten Sitzung bei Dr.   Lichtman in den Sinn gekommen war, festigte sich, und nachdem ich zehn- oder elfmal hintereinander fast täglich bei ihr gewesen und es mir mit Hilfe von Xanax gelungen war, die Panik von einem Albtraum auf eine drohende Gefahr zu reduzieren, kündigte ich an, ich hätte beschlossen, in einer Woche eine Reise zu unternehmen. Sie war natürlich überrascht und fragte, wohin. Eine Reihe möglicher Antworten schossen mir durch den Kopf. Orte, für die ich im Lauf der Jahre Einladungen bekommen hatte, die sich vielleicht auffrischen ließen. Rom. Berlin. Istanbul. Aber am Ende sagte ich das, von dem ich die ganze Zeit wusste, dass ich es sagen würde. Jerusalem. Sie hob die Augenbrauen. Ich fahre dort nicht hin, um den Schreibtisch zurückzufordern, wenn es das ist, was Sie denken, sagte ich. Warum dann?, fragte sie, während das durchs Fenster fallende Licht ihr Haar, die aufsteigende, sich hoch auftürmende Haarwoge fast durchsichtig erscheinen ließ – fast, aber nicht ganz, sodass die Ahnung blieb, das Wohlfühlgeheimnis könne, so unwahrscheinlich es auch sein mochte, immer noch dort versteckt sein. Aber meine Zeit war um und ich von der Antwort entbunden. An der Tür gaben wir uns die Hand, eine Geste, die mir jedes Mal als seltsam deplatziert aufstieß, als hätte jemand meine inneren Organe, die eben noch ausgebreitet auf dem Tisch lagen, kurz vor Ablaufen der streng getakteten Zeit im Operationssaal Stück für Stück säuberlich in Frischhaltefolie verpackt und dorthin zurückgestopft, wohin sie gehörten, ehe ich, eilig wieder zusammengeflickt, entlassen wurde. Am folgenden Freitag, nachdem ich Vlad, der während meiner Abwesenheit die Wohnung hüten sollte, das Nötigste erklärt hatte, mit einem Xanax, um mich durch die Sicherheitskontrolle zu bugsieren, und einem zweiten, als die Maschine über die Startbahn raste, war ich in der Luft, auf einem Nachtflug mit dem Zielflughafen Ben Gurion.

Wahre Güte
    Ich unterstütze den Plan nicht, sagte ich dir. Warum?, fragtest du mit zornigen kleinen Augen. Was willst du schreiben?, fragte ich. Du hast mir eine verschlungene Geschichte über vier oder sechs oder gar acht Leute erzählt, die alle in Zimmern liegen und mit einem System von Elektroden und Drähten an einen großen weißen Hai angeschlossen sind. Die ganze Nacht treibt der verdrahtete Hai in einem riesigen erleuchteten Becken und träumt die Träume dieser Leute. Nein, nicht die Träume, die Albträume, all die Sachen, die zu schwer zu ertragen sind. So schlafen sie, und durch die Drähte fließen die schrecklichen Sachen aus ihnen heraus in den mordsmäßigen Fisch mit vernarbter Haut, der das ganze gesammelte Elend erträgt. Nachdem du fertig warst, ließ ich ein gutes Maß an Schweigen verstreichen, ehe ich den Mund auftat. Wer sind diese Leute?, fragte ich. Leute eben, sagtest du. Ich aß eine
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