Das große Haus (German Edition)
war so schnell wiederhergestellt, dass es jemand anderem vielleicht vollständig entgangen wäre. Aber ich habe es mitbekommen, und indem es zusammenfiel, sah ich darunter ein anderes Gesicht, eines, wie man es aufsetzt, wenn man allein ist, oder nicht einmal allein, sondern im Schlaf oder bewusstlos auf einer Trage, und darin erkannte ich etwas wieder. Es klingt sicher verrückt, aber obwohl ich mit Lotte zusammenlebte und dieser Daniel ihr, soweit ich wusste, überhaupt noch nie begegnet war, spürte ich in diesem Moment, dass er und ich irgendwie auf einer Linie waren, auf einer Linie in unserem Verhältnis zu ihr, und dass nur ein gradueller Unterschied zwischen uns bestand. Was natürlich absurd war. Schließlich war ich derjenige, der ihn an dem hinderte, was er von ihr wollte, was immer es sein mochte. Es war eine reine Projektion auf diesen jungen Mann mit seiner Aktentasche vor dem kahlen Gerippe meiner Hortensien. Aber wie sonst sollten wir zu einer Entscheidung über andere gelangen? Obendrein war es draußen bitterkalt.
Ich ließ ihn herein. Bei uns im Flur, als er in seinen Stiefeln unter unserer kleinen Sammlung von Strohhüten stand, wichen alle Schatten, und ich sah ihn deutlich. Arthur?, rief Lotte aus dem Wohnzimmer. Daniel und ich verhakten unsere Blicke. Ich stellte eine Frage, und er antwortete. Es wurde nichts gesagt. Aber in diesem Moment trafen wir eine Vereinbarung: Was auch geschehen mochte, er würde uns nicht stören. Er würde nichts tun, um das, was wir so mühsam aufgebaut hatten, zu bedrohen oder zu demontieren. Ja, Liebste, rief ich zurück. Wer ist da?, fragte sie. Ich prüfte Daniels Gesicht noch einmal auf den leisesten Schimmer von Unstimmigkeit. Aber es gab keinen. Es drückte nur Ernsthaftigkeit aus, oder ein Verstehen, wie ernst die Vereinbarung war, und noch etwas anderes, was ich für Dankbarkeit hielt. Genau in diesem Moment hörte ich Lottes Schritte hinter mir. Es ist für dich, sagte ich.
Unser Leben verlief sehr regelmäßig, wissen Sie. Jeden Morgen gingen wir ins Heath. Wir nahmen denselben Weg hin und denselben Weg zurück. Ich begleitete Lotte zu dem Schwimmloch, wie wir es nannten, das sie sich keinen Tag entgehen ließ. Es gibt drei Teiche, einen für Männer, einen für Frauen und einen gemischt, und dort, in diesem letzten, schwamm sie, wenn ich dabei war, damit ich in der Nähe auf der Bank sitzen konnte. Im Winter kamen Männer, die ein Loch ins Eis schlugen. Sie müssen im Dunkeln gearbeitet haben, denn bei unserer Ankunft war das Eis immer schon aufgebrochen. Dann schälte sich Lotte aus ihren Kleidern, zog zuerst den Mantel aus, dann ihren Pullover, die Stiefel und die Hose, ihre Lieblingshose, die schwere wollene, und dann, zum Schluss, erschien ihr Körper, blass und von blauen Adern durchzogen. Ich kannte jeden Millimeter ihres Körpers, aber sein Anblick am Morgen, vor dem Hintergrund der feuchten schwarzen Bäume, erregte mich jedes Mal neu. Sie näherte sich dem Wasserrand. Einen Augenblick verharrte sie vollkommen reglos. Weiß Gott, woran sie gedacht haben mag. Bis zuletzt war sie mir ein Geheimnis. Gelegentlich fiel Schnee um sie herum. Schnee oder Blätter, aber meistens war es Regen. Manchmal hätte ich am liebsten laut geschrien, um die Stille zu durchbrechen, die in diesem Moment ihr allein zu gehören schien. Und dann, blitzschnell, verschwand sie in der Schwärze. Ein kleiner Spritzer, oder das Geräusch davon, danach war es still. Wie schrecklich diese Sekunden waren, und wie ewig sie zu dauern schienen! Als käme sie nie wieder hoch. Wie tief ist es?, fragte ich sie einmal, aber sie behauptete, es nicht zu wissen. Oft sprang ich sogar von der Bank auf, bereit, nach ihr zu tauchen, trotz meiner Angst vor dem Wasser. Aber genau dann stieß ihr Kopf durch die Oberfläche wie der glatte Kopf einer Robbe oder eines Otters, und sie schwamm zur Leiter, wo ich sie empfing, um ihr das Badetuch überzuwerfen.
Jeden Dienstagmorgen nahm ich den Acht-Uhr-dreißig-Zug nach Oxford und kehrte donnerstagabends um neun nach London zurück. Wenn wir mit Kollegen von mir ausgingen, erklärte Lotte immer, warum sie nicht in Oxford leben könne. Das dauernde Geläut all dieser Glocken störe sie bei ihrer Arbeit, sagte sie. Und außerdem werde man ständig von irgendwelchen Studenten, die durch die Straßen hasteten, angerempelt, geschubst oder umgerannt, und wenn es kein Fußgänger sei, dann ein ins Geistesleben vertiefter Radfahrer. Mindestens einmal bei
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