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Das große Haus (German Edition)

Das große Haus (German Edition)

Titel: Das große Haus (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicole Krauss
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erfanden Spiele aus nichts und freuten uns unseres Lebens, weil wir am Leben waren, weil wir rausgehen, die Sonne fühlen, rennen und einen Ball kicken konnten, während die anderen bei Pogromen ermordet wurden! Und du? Du hast alles auf der Welt, und dir fällt nichts anderes ein, als dir die Lunge aus dem Hals zu schreien und allen das Leben zu vermiesen! Es reicht! Hörst du? Ich habe die Schnauze voll! Du sahst mich an, mit riesigen Augen, und in deinen Pupillen gespiegelt, klein und weit entfernt, sah ich das Bild meiner selbst.
    Vor siebzig Jahren bin auch ich ein Kind gewesen. Vor siebzig Jahren? Siebzig? Wie? Lass es.
     
    Jetzt standest du mit deinem Koffer da. Es gab nichts zu sagen. Du schienst meine Hilfe nicht mehr zu brauchen. Früher vielleicht, aber jetzt nicht mehr. Ich habe schreckliche Kopfschmerzen, sagtest du schließlich. Das Licht tut mir in den Augen weh. Wenn es dir nichts ausmacht, würde ich mich gern hinlegen. Wir können später reden.
    Und so gingst du einfach in das Haus zurück, das du vor so langer Zeit verlassen hattest. Ich hörte deine Schritte sich langsam die Treppe hinauf bewegen.
    Waren sie aussätzig, Dov, diese anderen Kinder? Hast du dich deshalb abgesondert? Oder warst du der Aussätzige? Und wir beide, gemeinsam in diesem Haus eingeschlossen – sind wir die Geretteten oder die Verdammten?
    Eine lange Stille, so lange musst du an der Schwelle deines alten Zimmers gestanden haben. Dann die knarrende Tür, die sich nach fünfundzwanzig Jahren wieder schloss.

Schwimmlöcher
    An dem Abend lasen wir gemeinsam, wie wir es immer hielten. Es war einer jener Winterabende in England, an denen man bei der Dunkelheit, die um drei Uhr nachmittags einbricht, meinen möchte, es sei Mitternacht, und daran erinnert wird, wie weit nördlich man sein Leben angesiedelt hat. Es klingelte an der Haustür. Wir blickten zueinander auf. Es war selten, dass jemand unangekündigt zu uns kam. Lotte legte ihr Buch in den Schoß. Ich ging an die Tür. Da stand ein junger Mann mit einer Aktentasche in der Hand. Möglicherweise hatte er im letzten Moment bevor die Tür aufging, seine Zigarette ausgemacht, denn ich glaubte, aus der Mundecke eine Spur Rauch entweichen zu sehen. Allerdings konnte es auch einfach nur sein Atem in der Kälte gewesen sein. Eine Minute lang dachte ich, es sei einer meiner Studenten – sie hatten alle den gleichen wissenden Blick, als versuchten sie etwas in ein ungenanntes Land oder aus einem solchen heraus zu schmuggeln. Am Straßenrand wartete ein Auto mit laufendem Motor, und er warf einen Blick dorthin zurück. Jemand – ob Mann oder Frau, konnte ich nicht erkennen – war über das Steuer gebeugt.
    Ist Lotte Berg zu Hause?, fragte er. Er hatte einen starken Akzent, den ich aber spontan nicht unterbringen konnte. Darf ich fragen, wer sie sprechen möchte? Der junge Mann dachte nach, nur eine Sekunde, wirklich, aber lange genug, dass ich ein leichtes Zucken um seine Mundwinkel bemerkte. Mein Name ist Daniel, sagte er. Ich nahm an, er sei einer ihrer Leser. Sie war nicht weithin bekannt; es ist schon großzügig zu sagen, sie sei damals überhaupt bekannt gewesen. Natürlich machte es sie immer glücklich, wenn sie einen Brief von jemandem bekam, der ihre Arbeit bewunderte, aber ein Brief war das eine und ein Fremder an der Tür, um diese Zeit, das war etwas anderes. Es ist ein bisschen spät – wenn Sie vielleicht vorher anrufen oder schreiben könnten?, sagte ich, bedauerte jedoch sogleich die mangelnde Freundlichkeit, die dieser Daniel, wie ich mir dachte, aus meinen Worten herausgehört haben musste. Aber da schob er etwas, was er in seiner Backentasche gehalten hatte, von einer Seite auf die andere und schluckte. Dabei fiel mir sein ziemlich großer Adamsapfel in der Kehle auf. Mir schoss durch den Kopf, er könne alles andere als einer von Lottes Lesern sein. Ich senkte meinen Blick in die Dunkelheit, die sich auf Hüfthöhe in den Falten seiner Lederjacke sammelte. Ich weiß nicht, was ich glaubte, dort vielleicht kaschiert zu sehen. Aber natürlich war es nichts. Er stand weiterhin ungerührt da, als hätte er mich nicht gehört. Es ist spät, sagte ich, und Ms.   Berg – ich weiß selbst nicht, warum ich sie so nannte, es war absolut lächerlich, als wäre ich der Butler, aber so war es, so kam es mir aus dem Mund –, Ms.   Berg erwartet niemanden. Jetzt fiel sein Gesicht zusammen, aber nur für den Bruchteil einer Sekunde, wirklich, sein vorheriger Ausdruck

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