Das große Haus (German Edition)
sagte es einfach so, mit einer Unmittelbarkeit, die mir den Atem verschlug. Das macht mich verlegen, sagte ich, obwohl es nicht so war.
Er griff in seine Tasche, zog ein Schweizer Armeemesser heraus und klappte die Klinge auf. Den Bruchteil einer Sekunde dachte ich, er würde gewalttätig, nicht gegen mich, sondern gegen sich selbst. Stattdessen nahm er die Seife, die auf dem Waschbecken lag, ein unappetitliches, von all den dreckigen Händen, die hier durchgegangen waren, aufgeschäumtes und verkrustetes Stück Seife, und begann zu schnitzen. Es war so absurd, dass ich lachen musste. Nach einer Weile überreichte er es mir. Was ist das?, fragte ich. Erkennst du es nicht? Ich schüttelte den Kopf. Ein Schiff, sagte er. Es sah nicht aus wie ein Schiff, aber das störte mich nicht. Es war so lange her, seit irgendjemand mir zu Ehren etwas gemacht hatte.
Ich schaute in sein seltsames Gesicht, und da wusste ich, dass eine Tür aufgegangen war, aber keine von der Art, die mein Vater sich vorgestellt hatte. Durch diese konnte und würde ich hindurchgehen, das war mir auf der Stelle klar. Eine neue Welle von Übelkeit erfasste mich, diesmal gemischt mit Glück und auch Erleichterung, weil ich spürte, dass ein Kapitel meines Lebens zu Ende war und ein anderes begann.
Natürlich gab es heikle Momente oder solche, die alles in Frage zu stellen schienen. Als wir das erste Mal miteinander schliefen, passierte etwas Sonderbares. Wir lagen auf dem Teppich in Joavs Schlafzimmer, im dritten Stock des Hauses in Belsize Park. Die Fenster standen offen, der Himmel war fast schwarz von einem aufziehenden Sturm, es herrschte eine unheimliche Stille. Er zog mir das Hemd aus und berührte meine Brüste. Er hatte sehr sanfte und forschende Hände. Dann schob er meine Hose herunter, aber ohne mir vorher die Schuhe auszuziehen. Er pellte meine Unterwäsche einfach mit der Hose ab und zog so lange, bis die Füße erreicht waren, wo die Sache naturgemäß ins Stocken geriet. Es folgte ein Kampf, wie es in den russischen Romanen heißt, wenngleich dankenswerterweise nur ein kurzer. Meine Schuhe lösten sich, und die Hose rutschte herab. Danach entkleidete er sich selbst. Schließlich waren wir nackt. Aber statt so weiterzumachen, wie wir begonnen hatten, änderte Joav den Kurs und setzte zu einer Rolle an. Einem echten Purzelbaum, mit mir zusammen. Nachdem wir uns um 360 Grad gedreht hatten, ging er in die nächste Rolle. Ich hatte beim Sex schon allerhand komische oder verkorkste Sachen erlebt, aber so etwas Komisches noch nie, zumal wahrhaftig nichts sexy daran war, weder für mich noch, soweit ich es beurteilen konnte, für ihn. Es kam mir vor wie eine Zirkusübung. Du tust mir am Hals weh, flüsterte ich. Mehr bedurfte es nicht. Joav ließ von mir ab. Ich fiel auf den Boden zurück und lag eine Weile vollkommen still, versuchte durchzuatmen und zu entscheiden, ob ich da anknüpfen wollte, wo wir aufgehört hatten, oder ob ich nicht lieber meine Klamotten anziehen und gehen sollte.
Ich war noch unschlüssig, als ich ein unterdrücktes Weinen hörte. Ich setzte mich auf. Was ist los?, fragte ich. Nichts, sagte er. Aber du weinst doch. Ich musste nur gerade an was denken, sagte er. Woran?, fragte ich. Irgendwann werd ich’s dir erzählen. Erzähl es mir jetzt, begann ich und rückte näher an ihn heran, aber ich bekam nicht alle Worte heraus, sein Mund war schon auf meinem und ich im Sog eines sanften und so tiefen Kusses, der plötzlich, als hätte er in mich gegriffen und mit feinsten Berührungen eine rettende Notoperation vorgenommen, etwas in mir aufbrausen und lebendig werden ließ, mich mit jener Vitalität durchflutete, die mir abhandengekommen war. In dieser Nacht hatten wir drei- oder vielleicht viermal Sex. Von da an waren wir selten getrennt.
Wenn ich mit Joav zusammen war, stand alles auf, was sich in mir gesetzt hatte. Er hatte eine Art, mich mit einer unerschrockenen Direktheit anzublicken, die mich zittern ließ. Es ist eine erstaunliche Erfahrung, wenn man zum ersten Mal das Gefühl hat, von jemandem so gesehen zu werden, wie man wirklich ist, nicht wie andere es sich wünschen oder wie man es sich selbst wünscht. Ich hatte vorher schon Freunde gehabt und kannte die kleinen Balzrituale der ersten Annäherung, wie man sich die Geschichten über Kindheit, Ferienlager und die Schulzeit entlockt, die berühmten Demütigungen und die süßen Sachen, die man als Kind gesagt hat, die Familiendramen und was es sonst noch gibt
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