Das große Haus (German Edition)
viele Türen einem durch so ein Stipendium geöffnet würden. (Im Bad meiner Eltern gab es einen Spiegelschrank, und wenn man in dem Dreieck, das sich aus den aufgeklappten Türen bilden ließ, eine bestimmte Position einnahm, entfloh eine schwindelerregende Unendlichkeit von Türen und Selbsten in alle Richtungen: Daran musste ich immer denken, wenn mein Vater diesen Satz gebrauchte.) Er interessierte sich wenig dafür, welches Studium es mir erlauben könnte. Ich glaube, er stellte sich vor, mit genügend akademischen Auszeichnungen würde ich am Ende jedenfalls ein fettes Gehalt wie ein Investmentbanker bei Goldman Sachs oder Mackenzie einstreichen. Aber nachdem ich die Zusage bekommen hatte und wusste, dass ich nach Oxford gehen würde, kam meine Mutter, die bis dahin nicht viel zu dem Thema gesagt hatte, in mein Zimmer und erklärte mir mit feuchten Augen, wie glücklich sie für mich sei. Sie sagte nicht, es wäre ihr Traum in meinem Alter gewesen, wenn sie einen solchen Traum überhaupt hätte haben können. Denn wie es aussah, hatte sie von ihren beinharten Einwanderereltern etwas anderes erfahren als Unterstützung für ihre eigenen intellektuellen Interessen, und ich wurde den Gedanken nicht los, sie habe sich mit dem Entschluss, meinen Vater zu heiraten, ein Herz gefasst und versucht, ihre Sehnsüchte alle auf einmal zu ersticken, sie in den Sack gesteckt wie einen Wurf unerwünschter Katzen. Es war eine schreckliche Vorstellung, dass sie geglaubt haben musste, es gebe keinen anderen Weg für sie: Ihre Eltern waren religiös und mein Vater, ein zwölf Jahre älterer Mann, war es nicht – ich glaube, das hat meiner Mutter damals gereicht, um sich der elterlichen Knute zu entziehen. Aber sie war erst neunzehn, als sie 1967 geheiratet hat; ein paar Jahre später wäre sie vielleicht durch alle möglichen Veränderungen um sie her zu anderen Dingen ermutigt worden. Nur dass ich in diesem Fall gar nicht auf der Welt wäre.
Ich behaupte nicht, zu wissen, was in meiner Mutter vor sich ging oder was sie wirklich in sich unterdrückt hatte. Mit den Jahren konnte sie ihre Ermattung zwar nicht mehr verbergen, aber von den Wetter- und Verkehrsverhältnissen in ihrem Innenleben ließ sie wenig durchblicken. Ich wusste nur, dass irgendein störrischer Anteil ihrer Neugierde und ihres Hungers nie erstickt war, sosehr sie es sich einmal gewünscht haben mochte. Neben ihrem Bett lag immer ein kleiner Stapel Bücher, denen sie sich zuwandte, wenn alle eingeschlafen waren. Es dauerte viele Jahre, bis ich meine Liebe zu Büchern überhaupt mit der meiner Mutter in Verbindung brachte, denn obwohl im Haus immer Bücher herumlagen, hatte ich sie – bevor sie älter wurde und mehr Zeit hatte – selten lesen sehen. Mit Ausnahme der Zeitung, die sie täglich vom Titelblatt bis zur letzten Seite durchforstete, als hoffte sie, Nachrichten über jemanden zu finden, den sie seit langer Zeit vermisste. Als ich auf dem College war, überraschte ich meine Mutter manchmal dabei, wie sie mit stumm sich bewegenden Lippen vor dem Semesterplan meiner Kursangebote am Küchentisch saß. Sie fragte mich nie nach meinen Absichten, was ich nehmen würde, und mischte sich auch sonst nicht in meine Unabhängigkeit ein; sobald ich den Raum betrat, schloss sie das Heft und kehrte zu irgendeiner anderweitigen Beschäftigung zurück. Aber am Abend vor meiner Abreise nach England gab meine Mutter mir den schillernd grünen Pelikan-Füllhalter, den ihr Onkel Saul ihr in der Schulzeit als Belohnung für einen preisgekrönten Aufsatz geschenkt hatte. Zu meiner Schande muss ich gestehen, dass ich nie ein Wort damit geschrieben habe, auch keinen Brief an meine Mutter, und nicht einmal mehr weiß, wo er geblieben ist.
Wenn meine Eltern mich sonntagnachmittags in Oxford anriefen, erzählte ich ihnen ausgiebig von der wunderbaren Zeit, die ich dort verlebte. Für meinen Vater erfand ich Geschichten über Debatten, an denen ich im Club der Oxford Union teilgenommen hatte, und Anekdoten über andere Stipendiaten meines Förderungsprogramms – angehende Politiker, Jurastudenten mit spitzen Ellenbogen oder einen ehemaligen Redenschreiber von Boutros Boutros-Ghali. Meiner Mutter schilderte ich die Duke Humfrey’s Library innerhalb der Bodleian, wo man die Originalmanuskripte von T. S. Eliot oder Yeats einsehen konnte, und das Abendessen, bei dem ich auf A. L. Plummers Einladung (bevor er das Thema meiner Doktorarbeit abgelehnt hatte) am hochwürdigen Tisch
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