Das große Haus (German Edition)
wie sie Lust hatten. Ich begann, aus ihren beiläufigen Kommentaren zu lernen. Und da ich gern mehr wie sie sein wollte, stellte ich Joav regelmäßig Fragen zu den diversen Stücken, die ins Haus kamen oder abgeholt wurden. Er antwortete desinteressiert, ohne auch nur aufzublicken. Einmal fragte ich ihn, ob er es schon einmal traurig gefunden habe, wie Möbel so zurückblieben, nachdem das Leben derer, denen sie gedient hatten, zerbrochen oder zerfallen war, all diese Gegenstände, die keine eigene Erinnerung besaßen und nur noch als Staubfänger herumstanden. Aber er zuckte lediglich die Schultern und sparte sich die Antwort. Egal wie viel ich lernen mochte, die Anmut und Selbstverständlichkeit, mit denen sich Joav und Leah zwischen all diesen Antiquitäten bewegten, würde ich niemals beherrschen, ebenso wenig wie die seltsame Mischung von Feingefühl und Gleichgültigkeit, die den Geschwistern eigen war.
Ich war ohne Entbehrungen in New York aufgewachsen, aber von Reichtum konnte bei meiner Familie nicht die Rede sein. Als Kind hatte ich immer das Gefühl gehabt, dem, was wir da machten, sei nicht ganz zu trauen – wer weiß, ob nicht unter unseren Füßen plötzlich alles wegbräche, als bewohnten wir ein Lehmziegelhaus, das klimatisch am falschen Fleck stünde. Ein paarmal hörte ich meine Eltern über die Möglichkeit diskutieren, zwei Gemälde von Moses Soyer, die im Flur hingen, zu verkaufen. Es waren düstere Bilder, die nichts Gutes ahnen ließen und mich im Dunkeln ängstigten, aber die Vorstellung, meine Eltern müssten sie um des Geldes willen hergeben, beunruhigte mich. Hätte ich gewusst, dass es Leute gibt wie George Weisz, wäre er das Schreckgespenst meiner Träume geworden, genau wie der Gedanke, die Möbel der Familie würden Stück um Stück abtransportiert. In Wirklichkeit lebten wir in einem weißen Klinkerbau an der York Avenue, in einer Eigentumswohnung, die meine Eltern mit Unterstützung meiner Großeltern erworben hatten, aber zum Einkaufen unserer Kleidung gingen wir immer in Discountläden, und ich wurde oft gescholten, weil ich vergessen hatte, das Licht auszumachen, wo der Strom doch so teuer war. Einmal hörte ich, wie mein Vater meine Mutter anbrüllte, bei jeder ihrer Klospülungen gehe ein Dollar den Bach hinunter. Danach habe ich mir angewöhnt, die Verschwendung den Tag über in der Kloschüssel zu sammeln, bis eine kritische Masse erreicht war. Als die Drohungen meiner Mutter dies verhinderten, übte ich mich darin, meine Geschäfte so lange wie möglich zurückzuhalten. Und wenn mir ein Unglück passierte, ertrug ich meine Schande und den Ärger meiner Mutter mit dem tröstlichen Gedanken an das Geld, das ich meinen Eltern gespart hatte. Trotzdem bin ich nie so recht mit dem Missverhältnis klargekommen, das zwischen dem trüben breiten East River, der draußen vor unseren Fenstern endlos dahinfloss, und dem kostbaren Wasser unserer Klospülung bestand.
Was wir an Möbeln besaßen, war insgesamt von hoher Qualität, einschließlich einiger antiker Erbstücke aus dem Vermächtnis meines Großvaters. Die Oberflächen der Letzteren waren mit Glasscheiben abgedeckt, die an allen Ecken auf hellen runden Gummiplättchen ruhten. Trotzdem durfte ich meinen Becher nicht darauf abstellen oder zu nahe daran spielen. Diese wertvollen Objekte schüchterten uns ein. Wir wussten, wie weit wir es auch im Leben bringen mochten, derartig feine Sachen waren nicht wirklich für uns bestimmt, die wenigen teuren Antiquitäten in unserer Wohnung waren uns aus einem höheren Leben zugefallen und ließen sich nun dazu herab, unter uns zu weilen. Wir hatten immer Angst, ihnen irgendeinen Schaden zuzufügen, und so wurde ich dazu erzogen, mich vorsichtig um die Möbel herumzubewegen, auf respektvolle Entfernung eher an ihnen entlang als mit ihnen zu leben. Bei meinen ersten Besuchen in Belsize Park wurde mir ganz mulmig, wenn ich sah, wie nachlässig Joav und Leah mit den Möbeln umgingen, die vorübergehend ins Haus kamen und die Lebensgrundlage ihres Vaters – somit auch ihre eigene – bildeten. Sie stellten Weingläser, ja legten sogar ihre nackten Füße auf Biedermeier-Kaffeetische, fassten mit schmierigen Fingern an Vitrinen, hielten Schlummerstündchen auf den Sofas, aßen von Art-déco-Kommoden, und manchmal, wenn es der bequemste Weg war, um in einem vollgestellten Raum von einer Seite auf die andere zu gelangen, liefen sie über die Tischplatten der langen Esstische. Als Joav mich das
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