Das große Haus (German Edition)
zwischen Harlem und den qualmenden Fabriken in China zu werden. Ich erinnerte mich, wie mein Vater mich hochgehoben und auf seinen riesigen Herman-Miller-Bürotisch gesetzt hatte, während auf der anderen Seite der Wand die Maschinen hektisch unter seinem Befehl klapperten.
In dieser Nacht schlief ich auf einer schmalen Liege in einem kleinen Raum am Ende des Flurs, der an Leahs Schlafzimmer entlangführte. Ich lag wach, und jetzt, da ich allein war, überwältigte mich erst die Demütigung, dann eine maßlose Wut. Wer war Weisz, dass er mich ausfragte, mir das Gefühl vermittelte, ich müsste ihm beweisen, was ich wert war? Was ging ihn meine Familie an und wie mein Vater seinen Lebensunterhalt verdiente? Es war schlimm genug, dass er seine eigenen Kinder in so eine himmelschreiende Lage zwang, sie unfähig machte, den Absprung in ihr eigenes Leben zu schaffen. Schlimm genug, dass es ihm gelungen war, sie so zu vereinnahmen, dass sie in den Grenzen seines väterlichen Plans gefangen waren und diesem Zustand nicht entrinnen konnten, weil es für sie außerhalb des Möglichen lag, sich ihrem Vater zu widersetzen. Er beherrschte sie weder mit eiserner Faust noch mit seinem Zorn, sondern sehr viel wirksamer, wie ein Spuk in ihren Köpfen verankert, mit der unausgesprochenen Drohung, welche Konsequenzen der geringste Misston haben würde. Jetzt war ich aufgetaucht und hatte Weisz’ Ordnung in Frage gestellt, das behütete Dreieck der Weisz-Familie ins Ungleichgewicht gebracht. Und er hatte keine Zeit gespart, mir klarzumachen, dass ich auf dem Holzweg sei, wenn ich glaubte, Joav und ich könnten unsere Beziehung ohne sein Wissen oder sein Einverständnis fortsetzen. Welches Recht hat er?, dachte ich, indem ich mich wütend in dem schmalen Bett wälzte. Mochte er die Gewalt über seine eigenen Kinder haben, mich würde er nicht kujonieren. Sollte er es nur versuchen: Ich ließ mich nicht so leicht verschrecken.
Wie gerufen knarrte plötzlich die Tür, und Joav lag auf mir, attackierte mich von allen Seiten wie ein Rudel Wölfe. Nachdem wir mit allen anderen Öffnungen fertig waren, drehte er mich um und zwängte sich in mich. Es war das erste Mal, dass wir es so machten. Ich musste ins Kissen beißen, um beim ersten Stoß nicht laut zu schreien. Danach fiel ich, eingelullt von der Hitze seines Körpers, wieder in den Schlaf, einen tiefen Schlaf, aus dem ich allein erwachte. Was auch immer ich geträumt haben mochte, verlor sich, nur ein Bild war mir noch in Erinnerung, Weisz, der mit dem Kopf nach unten in der Speisekammer hing, wie eine Fledermaus.
Es war fast sieben Uhr morgens. Ich zog mich an und wusch mir das Gesicht an dem winzigen, wie für Kinder geschaffenen und mit rosa Blumen verzierten viktorianischen Waschbecken in Leahs Bad. Als ich auf Zehenspitzen den Flur entlangschlich, hielt ich vor ihrem Zimmer inne. Die Tür stand einen Spalt offen, und ich sah das riesige, jungfräulich weiße Himmelbett, groß und majestätisch wie ein Schiff, und unter diesem Eindruck stellte ich mir Leah mitten in einer Hochflut darauf sitzend vor. Ich wusste plötzlich, dass auch dieses Bett ein Geschenk ihres Vaters sein musste, eines, das die gleiche subtile Botschaft über seine Vorstellungen enthielt, was für ein Leben sie führen sollte. Sie brachte nie Freundinnen mit nach Hause, obwohl sie auf dem College sicher einige gehabt haben musste. Ich hatte auch nie ein Wort über einen Freund gehört, weder einen verflossenen noch einen gegenwärtigen. Die Ansprüche, die Vater und Bruder an ihre Loyalität und Liebe erhoben, machten eine nach außen gerichtete Beziehung zu einem Mann praktisch unmöglich. Ich dachte an die Geburtstagsparty, die Leah am Vorabend erfunden hatte. Ich hatte den Sinn einer so überflüssigen Lüge nicht verstanden, aber jetzt fragte ich mich, ob das nicht Leahs einzige Möglichkeit war, ihrem Vater Widerstand zu leisten.
Einen Stock tiefer schlief Joav noch in seinem Bett. Meine Wut vom Vorabend war geschwunden und damit auch meine Zuversicht. Ich fragte mich wieder, wie lange unsere Beziehung halten würde. Vielleicht war es nur eine Frage der Zeit, bis Weisz gewann. Ich hatte Joav zu seiner ersten Auseinandersetzung über mich mit seinem Vater gezwungen, und kaum eröffnet, hatte er sich geschlagen gegeben, war weich geworden wie ein kleiner Junge, hatte aber dann, im Dunkeln, mit Zähnen und Klauen mich attackiert. Das Bild von dem hängenden Weisz stieg wieder vor mir auf. Wird man je frei
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