Das große Haus (German Edition)
feine Sofa mit einem nur für Gäste zu entfernenden Plastikschonbezug bedeckten. Die Tochter derer, die ein höheres Leben anstrebten, aber nie glaubten, es wert zu sein, die sich vor dem Ideal all dessen verneigten, was über ihnen hing, außer Reichweite – nicht nur materiell, sondern auch geistig, im Sinne einer Suche nach Befriedigung, wenn nicht sogar nach Glück –, und dabei nur ihre Enttäuschung pflegten. Und indem mir diese Dinge in den Sinn kamen, wurde auch Joav etwas, was er nicht war: jemand, der zu einem höheren Leben geboren wäre und dort, sosehr er mich auch liebte, immer nur meinen Gastgeber würde spielen können. Rückblickend sehe ich, wie viel ich damals missverstanden habe, und es tut mir weh, daran zu denken, wie blind ich für Joavs Qualen war.
Wir stritten, wenngleich ich jetzt nicht sagen kann, was wir genau sagten, da alles, was in unseren Argumenten als etwas Direktes begann, von Joav abgelenkt und somit indirekt wurde. Mir dämmerte es immer erst im Nachhinein: Er hatte über etwas gesprochen, mit mir über etwas diskutiert, sich gegen etwas verteidigt, ohne je wirklich auf die Sache einzugehen oder sie überhaupt beim Namen zu nennen. Aber diesmal beharrte ich auf meinem Standpunkt und gab nicht nach. Am Ende packte er, erschöpft oder weil ihm keine Strategie mehr einfiel, meine Handgelenke, drückte mich aufs Sofa und küsste mich fest genug, um mich zum Schweigen zu bringen. Einige Zeit später hörten wir die Haustür aufgehen und dann Leahs Schritte auf der Treppe. Ich zog meine Jeans hoch und knöpfte mir das Hemd zu. Joav sagte nichts, aber sein gequälter Gesichtsausdruck erfüllte mich mit Schuldgefühlen.
Weisz stand mit polierten Schuhen, einen Spazierstock mit silbernem Knauf in der Hand, unten im gefliesten Hausflur, die Schultern seines Wollmantels glänzten vom Regen. Er war ein zierliches Männchen, kleiner und älter, als ich ihn mir vorgestellt hatte, in allen Dimensionen zurückgefahren, wie jemand, der am liebsten überhaupt keinen Platz einnähme und sich nur ungern mit diesem Kompromiss abfand. Kaum zu glauben, dass dies der Mann sein sollte, der solche Autorität über Joav und Leah ausübte. Doch als er mir sein Gesicht zuwandte, waren seine Augen lebhaft, kalt und stechend. Er sagte den Namen seines Sohnes, aber sein Blick blieb auf mir haften. Joav hastete die Stufen vor mir hinunter, wie um jede Schlussfolgerung, die sein Vater ziehen könnte, zu verhindern oder ihr mit ein paar schnellen Takten in einer Privatsprache zuvorzukommen. Weisz nahm Joavs Gesicht in seine Hände und küsste ihm die Wangen. Die Innigkeit überraschte mich; ich hatte meinen eigenen Vater nie einen Mann küssen sehen, nicht einmal seinen Bruder. Weisz sprach leise auf Hebräisch mit Joav und drehte sich dabei kurz nach mir um – es musste irgendwie darum gehen, ob er störte, nahm ich an, denn Joav beeilte sich, das kopfschüttelnd zu verneinen. Als wollte er das schmerzliche Missverständnis wiedergutmachen, half er seinem Vater aus dem Mantel und fasste ihn liebevoll am Arm, um ihn ins Haus zu geleiten. Während der ganzen Zeit hielt Leah sich auf Abstand an der Seite, wie um klarzumachen, dass sie mit diesem unglückseligen kleinen Zwischenfall, diesem peinlichen Missgriff, der da in heraushängendem Hemd und Turnschuhen auf der Treppe stand, nicht das Geringste zu tun hatte.
Das ist Isabel, eine Freundin aus Oxford, sagte Joav, als sie an die Treppe kamen, und einen Augenblick dachte ich, er würde weitergehen, seinen Vater den Flur entlangführen, als wäre das Haus voller Gäste, die ihm vorgestellt werden müssten, und ich zufällig die Erste. Aber Weisz löste sich von Joavs Arm und blieb vor mir stehen. Da ich nicht wusste, was ich tun sollte, ging ich die Stufen hinunter wie eine unbeholfene Debütantin.
Wie schön, Sie endlich kennenzulernen, sagte ich. Joav hat mir so viel von Ihnen erzählt. Weisz zuckte zusammen und fasste mich noch genauer ins Auge. Das Schweigen zog mir den Magen zusammen. Andererseits hat er mir von Ihnen noch nie etwas erzählt, sagte er. Dann lächelte er, oder vielmehr hob er kaum merklich seine Mundwinkel zu einem Ausdruck, der entweder freundlich oder ironisch sein konnte. Meine Kinder erzählen mir so wenig von ihren Freunden, sagte er. Ich warf Joav einen Blick zu, aber der Mann, der mich vor wenigen Minuten noch unbändig gefickt hatte, war in ein demütiges, kleinlautes, fast kindliches Wesen verwandelt. Mit hängenden Schultern
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