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Das große Heft

Das große Heft

Titel: Das große Heft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agota Kristof
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Garten.
Sie sagt:
- Hört auf, laut zu lesen. Mir platzt das Trommelfell.
Wir lesen weiter.
Sie fragt:
    - Was macht ihr da? Seit Stunden liegt ihr auf dem Boden, ohne euch zu rühren.
    Wir setzen unsere Unbeweglichkeitsübung auch dann fort, wenn sie uns mit faulem Obst bewirft. Sie sagt:
    - Hört auf zu schweigen, ihr geht mir auf die Nerven!
Wir setzen unsere Schweigeübung fort, ohne ihr zu antworten.
Sie fragt:
- Warum eßt ihr heute nichts?
- Es ist unser Fastenübungstag.
    Unsere Kusine arbeitet nicht, lernt nicht, macht keine Übungen. Oft betrachtet sie den Himmel, manchmal weint sie.
    Großmutter schlägt unsere Kusine nie. Sie beschimpft sie auch nicht. Sie verlangt nicht, daß sie arbeitet. Sie verlangt nichts von ihr. Sie spricht nie mit ihr.

Der Schmuck
    Noch am Abend ihrer Ankunft gehen wir in die Dachkammer schlafen. Wir nehmen zwei Decken aus dem Zimmer des Offiziers, und wir legen Heu auf den Boden. Bevor wir uns hinlegen, schauen wir durch die Löcher. Bei dem Offizier ist niemand. Bei Großmutter brennt Licht, was selten vorkommt.
    Großmutter hat die Petroleumlampe aus der Küche genommen und sie über ihren Frisiertisch gehängt. Es ist ein altes Möbelstück mit drei Spiegeln. Der in der Mitte ist fest, die beiden andern sind beweglich. Man kann sie drehen, um sich von der Seite zu sehen.
    Großmutter sitzt vor dem Frisiertisch, sie betrachtet sich im Spiegel. Auf ihren Kopf, über ihr schwarzes Kopftuch, hat sie etwas Glänzendes gesetzt. An ihrem Hals hängen mehrere Ketten, ihre Arme sind mit Reifen, ihre Finger mit Ringen beladen. Sie betrachtet sich und spricht mit sich selbst:
    - Reich, reich. Es ist leicht, schön zu sein mit alldem. Leicht. Das Rad dreht sich. Jetzt gehört er mir, der Schmuck. Mir. Es ist nur gerecht. Es glänzt, es glänzt. 
    Später sagt sie:
    - Und wenn sie zurückkommen? Wenn sie ihn wiederhaben wollen? Sobald die Gefahr vorbei ist, vergessen sie. Sie wissen nicht, was Dankbarkeit ist. Sie versprechen das Blaue vom Himmel, und dann... Nein, nein, sie sind schon tot. Auch der alte Herr wird sterben. Er hat gesagt, ich kann alles behalten... Aber die Kleine... Sie hat alles gesehen, alles gehört. Sie wird es mir wegnehmen wollen. Bestimmt. Nach dem Krieg wird sie es wiederhaben wollen. Aber ich will, ich kann es nicht zurückgeben. Es gehört mir. Für immer.
    - Auch sie muß sterben. Dann gibt es keinen Beweis. Aus den Augen, aus dem Sinn. Ja, sie wird sterben, die Kleine. Sie wird einen Unfall haben. Kurz vor Kriegsende. Ja, es muß ein Unfall sein. Kein Gift. Diesmal nicht. Ein Unfall. Ertränken im Fluß. Ihren Kopf unter Wasser halten. Schwierig. Sie die Kellertreppe runterstoßen. Nicht hoch genug. Das Gift. Es gibt bloß Gift. Was Langsames. Gut dosiert. Eine Krankheit, die sie langsam zerfrißt, monatelang. Es gibt keinen Arzt. Viele Leute sterben so im Krieg, weil es keine Behandlung gibt. 
    Großmutter hebt die Faust, droht ihrem Spiegelbild: 
    - Ihr könnt mir nichts anhaben! Nichts!
    Sie feixt. Sie legt den Schmuck ab, tut ihn in einen Stoffbeutel und versteckt den Beutel in ihrem Strohsack. Sie legt sich schlafen. Wir auch.
    Am nächsten Morgen, als unsere Kusine die Küche verlassen hat, sagen wir zu Großmutter:
    - Großmutter, wir wollen Ihnen etwas sagen. 
    - Was gibt's denn schon wieder?
    - Hören Sie gut zu, Großmutter. Wir haben dem alten Herrn versprochen, auf unsere Kusine aufzupassen. Also wird ihr nichts zustoßen. Weder Unfall noch Krankheit. Nichts. Und uns auch nicht.
    Wir zeigen ihr einen geschlossenen Umschlag: 
    - Hier ist alles aufgeschrieben. Wir werden diesen Brief dem Herrn Pfarrer geben. Wenn einem von uns dreien etwas zustößt, wird der Pfarrer den Brief öffnen. Haben Sie gut verstanden, Großmutter?
    Großmutter schaut uns an, die Augen fast geschlossen. Sie atmet sehr heftig. Sie sagt sehr leise:
    - Hundesöhne, Hurensöhne, Teufelsbrut! Verflucht sei der Tag, an dem ihr geboren wurdet!
    Am Nachmittag, als Großmutter in ihren Weinberg arbeiten geht, durchsuchen wir ihren Strohsack. Es ist nichts darin.

Unsere Kusine und ihr Liebhaber
    Unsere Kusine wird ernst, sie stört uns nun nicht mehr. Sie wäscht sich jeden Tag in der großen Wanne, die wir mit dem in den Kneipen verdienten Geld gekauft haben. Sie wäscht oft ihr Kleid und auch ihren Schlüpfer. Während ihre Kleider trocknen, hüllt sie sich in ein Handtuch oder legt sich in die Sonne mit ihrem Schlüpfer, der auf dem Körper trocknet. Sie ist ganz braun. Ihre

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