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Das große Leuchten (German Edition)

Das große Leuchten (German Edition)

Titel: Das große Leuchten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Stichmann
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mit ihr nach Deutschland geflohen war, aber er schien hier nie wirklich angekommen zu sein, zumindest sagte sie es so. Ich solle auf keinen Fall anfangen, ihm Fragen zu stellen, er würde dann ewig erzählen – er sei einfach ein wehleidiger Typ und ganz anders als ihre Mutter im Iran, die sie eines Tages besuchen wolle.
    Es roch würzig und fremd im Betonhäuschen, es schien eine Mischung aus Schweiß, Waschmittel und einem speziellen Irangewürz zu sein. Ich stellte mir vor, dass es im Iran überall so roch, und es war so, dass der Duft auch ein bisschen zu Ana gehörte und dass er etwas leicht Beschämendes hatte, das ich aber mochte. Etwas, das einem den Magen auf eine gute Art durcheinanderbrachte. Ihr richtiger Name war Anahita und passte auch dazu – ich sagte ihn manchmal, damit sie mich trat oder mir ihren spitzen Ellenbogen in die Seite rammte.

    «Stimmt es, dass du an SEELENVERWANDTSCHAFT glaubst? Robert hat erzählt, dass ihr beide seelenverwandt seid und dass ihr in eurem gruseligen Haus später ein Hotel aufmachen wollt. Weil er das so in seinen Träumen gesehen hätte und weil du das auch so sehen würdest.»
    «Natürlich nicht. Ich will hier so schnell wie möglich weg», sagte ich.
    «Ich auch. Hätte auch nicht gedacht, dass das stimmt. In eurem beschissenen Haus!»
    Sie kickte Steine weg und ging ganz fröhlich über die Geröllhalde voraus. Ich fand es gut, dass sie so normal und schön war. Sie sagte, Robert sei ganz okay, aber innerlich einfach noch zu jung, und Frances und ihr Vater kämen ihr irgendwie ähnlich vor, weil sie beide verkorkst seien und mit niemandem was zu tun hätten. Wir beide könnten wenigstens normal miteinander reden, das sei sehr viel wert.
    «Gehen wir wieder Bier holen?», sagte ich.
    «Ja, pass mal auf», sagte sie, «wir gehen heute wieder zur TANKSTELLE. Heute ist nämlich der eine Typ an der Kasse, kennst du den? Den Dicken? Er heißt Erik. Ich hatte mal Sex mit ihm.»
    Ich sah sie an. Sie ging einfach weiter. Ihr Gesicht blieb ruhig, als hätte sie nur was Nebensächliches gesagt. Ich wusste nicht, ob ich es glauben sollte – der Tankstellenmann, den ich kannte, war ungefähr vierzig. Es war ein Rock-’n’-Roll-Typ mit geligen Haaren und Koteletten, der etwas Behindertes an sich hatte. Robert hatte gesagt, dass er im Heim wohne und dass der Job eine Hilfsmaßnahme sei.
    «Du meinst den Elvis-Presley-Typen?»
    «Genau, Elvis Presley, aber er heißt Erik, ERIK PRESLEY.»
    Sie lachte. Es kam ganz hell aus ihr raus.
    «Ist der nicht zu alt für dich?»
    «Im Gehirn ist er jünger, wie Robert. Außerdem war es doch nur aus Versehen, weil wir besoffen waren. Ich hab Bier gekauft, und dann haben wir ein paarmal im Hinterraum gesessen, und an dem Abend haben wir Apfelkorn getrunken, und ich hab im Hinterraum auf dem Boden geschlafen. Dann kam es so, aber sowieso nur halb, es war nur HALB.»
    «Halb?»
    «Wir lagen nur nebeneinander, und ich wollte gar nicht, aber dann hat er schon rumgespritzt.»
    «Warum?»
    «So halt.»
    Sie lachte wieder. Mir fiel nichts dazu ein. Sie war grade erst sechzehn geworden, wie ich, und es war klar, dass der Tankstellenmann etwas Illegales gemacht hatte, wie auch immer es genau ausgesehen hatte. Andererseits lächelte sie. Ich sagte mir, dass es am Ende sogar ein gutes Zeichen für mich sein könnte, vielleicht bedeutete es, dass sie einfach grundsätzlich gerne Sex hatte; und ich war ja immerhin nicht behindert.
    «Hinterher ist er dann herumgekrochen und wollte mir unbedingt was zu essen machen, obwohl ich gar keinen Hunger hatte!»
    «Herb.»

    Erik Presley stand wie immer ganz gerade hinter der Kasse und sah an die gegenüberliegende Wand. Er trug ein weißes T-Shirt und rote Hosenträger über seinem dicken Bauch, und sein Gesicht war speckig, sodass seine Augen fast darin vergraben waren. Man konnte nie sehen, was er dachte. Das war es, was ich immer nervig und beängstigend gefunden hatte an ihm. Jetzt sah er uns nervös an und dann über uns hinweg, als könnte er sich unsichtbar machen, indem er unauffällig guckt.
    «Wie geht’s?», sagte Ana.
    «Ja», sagte er.
    «Können wir uns ein paar Bier mitnehmen?»
    «Ja, Bier, in Ordnung, richtig.»
    Ich ließ mir ein paar Plastiktüten von ihm geben und packte Schnapsflaschen ein. Anas Stimme klang wie die eines freundlichen Kindes, sie redete sehr hell und nett mit Erik, und ich dachte, dass es für ihn dadurch, auch wenn er es natürlich verdient hatte, noch viel trauriger

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