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Das große Leuchten (German Edition)

Das große Leuchten (German Edition)

Titel: Das große Leuchten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Stichmann
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wurde.
    «Nicht viel los heute, oder?», sagte sie.
    «Nein. Nein. Nicht viel los. Nie», sagte Erik.
    «Und sonst? Wie geht es dir denn so?»
    «Nie. Ja.»
    «Und sonst?»
    «Ja.»
    Ich packte Alkohol, Sonnenbrillen, Schlüsselanhänger, Chips und Pornohefte ein – die blaue Bomberjacke aus dem Hinterraum zog ich gleich an, obwohl sie mir zu groß war. Wenn ich zwischendurch Eriks Gesicht sah, war es ganz ausdruckslos, er fühlte sich wahrscheinlich nicht gut, aber man sah es nicht – er konnte genauso gut gerade jetzt den glücklichsten Moment seines Lebens haben. Ich stellte mich vor ihn hin.
    «Was denkst du so, Erik? Was magst du so im Leben? Magst du den Sänger Elvis Presley ?»
    «Ja, ja.»
    «Ja, oder? Du siehst nämlich genau aus wie er, oder? Du siehst doch genau aus wie Elvis Presley?»
    «Ja.»
    «Aber du machst nie einen Gesichtsausdruck. Du machst immer genau das gleiche Gesicht, Erik. Man sieht überhaupt nicht, ob du was denkst.»
    «Ja. Nein.»
    Er sah seine Hände an, und dann sah er zu mir. Und es war so, dass es tatsächlich überhaupt keinen Spaß machte, mit ihm zu reden. Je länger man ihn ansah, desto weniger sah er aus wie Elvis Presley – aber dann, für eine seltsame Sekunde, sah er plötzlich doch wieder sehr aus wie Elvis Presley. So unklar war dieses Gesicht.
    Ich überlegte, ob es vielleicht daran lag, dass ein leichtes Flackern vorhanden war in seinem Bild, dass sich sein Bild in meinem Gehirn noch nicht ganz ausgerechnet hatte. Ana hatte gesagt, dass sie es auch so sehe wie ich, dass man es sich auf diese Weise vorstellen müsse, dass sich alle Dinge so zusammensetzten im Kopf.
    Vielleicht könnte er, dachte ich, wenn ich meine Phantasie für ihn einsetzen würde, doch noch zu Elvis Presley werden, vielleicht könnte ich sein Bild zum Besseren wenden, wenn ich wollte. So aber blieb er in seiner Tankstellendimension und war doch nur Erik Presley.
    Ana hatte sich zwischen den Gängen niedergehockt – sie lächelte mich an und pisste einfach in die Tanke. Ich sah ihr nur in die Augen, und sie fixierte mich auch, während die Pfütze sich auf dem Boden ausbreitete. Alles Mögliche war in ihren Augen zu sehen, ganz anders als bei Erik; ich sah, dass sie sich etwas schämte und es trotzdem witzig fand, dass sie über mein Gesicht lachen musste und gleichzeitig überlegte, was ich jetzt dachte.

5
    Während Robert die ganzen Sommermonate an der Landstraße und am Waldrand herumstrich. Wir sahen ihn nachmittags von unserer Grube zwischen den Rapsfeldern aus, aber er blieb meistens weit entfernt stehen und sah nur stumm zu uns rüber. Manchmal sah es aus, als würde er sich Notizen machen und uns heimlich mit seinem Fernrohr beobachten, mit dem er nachts den Sternenhimmel absuchte. Wenn ich ihn darauf ansprach, stritt er es aber ab; er habe nur Vögel beobachtet und Meisenknödel in die Bäume gehängt, weil er naturverbunden sei und sinnvolle Dinge tun wolle, ganz im Gegensatz zu uns – wir würden uns ja immer nur in unserer Schweinegrube wälzen und den Tequila trinken, den wir vorher bei dem armen Elvis-Presley-Mann geklaut hätten.
    «Woher weißt du das denn?»
    «Ich weiß es eben!», sagte er. «Überhaupt, du solltest mir dankbar sein, du solltest froh sein, dass ich noch manchmal für dich bete. Man kann nämlich nicht einfach total hinterhältig und hedonistisch werden und glauben, dass Gott einem trotzdem immer beisteht! Wenn du mich nicht hättest, sähe es schon ganz anders aus!»
    Es war offensichtlich, dass er sein Gerede teilweise von Frances übernahm, es war genau das, was sie auch immer sagte: Die ganze westliche Zivilisation war hedonistisch und verdorben.

    Dabei war unsere Grube gar keine Schweinegrube, sondern ein gemütliches Quartier, in dem sich Ana außerdem kaum anfassen ließ. Wir waren vom Saufen albern, schläfrig und weich, aber sobald ich ihr eine Ameise vom Arm nehmen wollte oder sonst wie näher rückte, rückte sie wie zufällig weg. Sie fing irgendein Thema an, redete unvermittelt von ihrer Mutter oder von unserem Plan, hier abzuhauen.
    «Wir müssen es uns einfach TRAUEN», sagte sie. «Wir müssen es einfach planen und anschließend MACHEN. Die meisten Menschen verstehen gar nicht, was man alles tun kann, sie beschränken sich schon in ihrem EIGENEN Kopf!»
    «Denke ich auch», sagte ich.
    Und ich versuchte herauszuhören, ob sie damit eine Anspielung auf uns beide machte, wie wir hier saßen, ob sie es nicht doch gut fände, wenn ich mich noch

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