Das große Leuchten (German Edition)
wir uns von dem Geld auch einfach eine Wohnung mieten könnten, im Hochhausviertel gegenüber oder besser noch weiter drin in der Stadt. Weil es doch früher oder später darum gehen müsse, einen Ort zu finden, an dem man länger bleiben kann, einen Ort mit ein paar netten Menschen, an dem man sich niederlässt.
Nein, dass ich wieder zu altmodisch denken würde, sagte sie. Und dass wir außerdem noch keine zweihundert Kilometer hinter uns hätten. Dass wir doch kaum von der Stelle gekommen seien im letzten halben Jahr.
Dann lachte sie, weil der Wohnwagen wieder stärker schaukelte im Sturm und weil von der geblümten Wohnwagendecke Dreck auf mich runtergerieselt kam. Und auch, weil wir das Thema wiederholten und variierten, weil wir eigentlich halb aus Langeweile stritten.
Ich lag auf der klebrigen Matratze, neben dem Heizstrahler und den Pappkartons; es war ein Gerümpelwagen, in dem wir untergekommen waren. Die Besitzerin wohnte in einem größeren Wohnwagen gegenüber, aber wir hatten sie schon seit zwei Tagen nicht gesehen. Es war, als hätte jemand eine Haut vom Himmel gerissen, als sollte es für immer Nacht bleiben und donnern und blitzen.
Ana lief in T-Shirt und Unterhosen hin und her; ich machte die Augen zu und hörte auf die Wellen des Sturms, die ich mochte, die mich eigentlich sogar beruhigten. Ana hatte gesagt, dass meine ruhigere Art manchmal gut sei, dass ich ausgleichend auf sie wirken würde, deshalb versuchte ich, etwas Tiefes, Besänftigendes in meine Stimme zu legen, wenn ich mit ihr sprach. In den letzten Monaten war sie immer unruhiger geworden. Ich nahm an, dass es daran lag, dass sie sich Sorgen um ihren Vater machte – grade weil sie nie viel sagte, wenn ich auf das Thema kam. Stattdessen redete sie dann nur vom nächsten Überfall und davon, dass wir noch nach Ungarn sollten, bevor wir nach Teheran trampen würden.
«KOMM SCHON!», rief sie jetzt. «PACK MICH! PACK MICH!»
Als ich die Augen aufmachte, sah ich, dass die Tür offen stand. Sie war einfach in den Regen rausgelaufen. Sie sprang halb nackt vor dem Fenster herum.
Ich zog mein T-Shirt aus, nahm einen Schluck Tütenwein und stieg langsam und vorsichtig in die rauschende Dunkelheit. Ich rannte ihr nicht hinterher, ich hatte einen besseren Plan – ich folgte ihr in einem langsamen Bogen. Der Regen war so dicht, dass man keinen Meter weit sehen konnte, es war ein silbriges Flirren. Schlingpflanzen schienen in der Luft zu entstehen.
Und da stand sie und sah in die falsche Richtung.
Es machte mir jetzt richtig gute Laune: Es sah aus, als gäbe es überhaupt nur noch uns beide auf der Welt, als wäre alles drum herum ein schwarzes Nichts. Ich stellte ihr ein Bein, warf mich auf sie und drückte ihre Handgelenke in den Schlamm. Sie lächelte zur Seite.
Während ich meine Hose aufmachte und ihre Kniekehlen in meine Armbeugen legte, sagte ich, dass sie jetzt eine Kröte sei, die ich gepackt hätte, der keine Chance mehr blieb. Sie machte ein zustimmendes Geräusch, aber als ich sie umdrehen wollte, trat und zappelte sie plötzlich, zischte und spuckte und packte mein Handgelenk und zerrte daran, als wollte sie mir den Arm auskugeln. Sie flutschte einfach unter mir raus und war weg.
«Bist du LANGSAM?», rief sie.
«Ich geh wieder zurück.»
«Der Trick klappt nicht! Du musst mich schon PACKEN!»
Ich rannte los. Ihr Lachen entfernte sich und kam wieder näher, und plötzlich war ihr erstauntes Gesicht direkt vor mir, und wir stießen hart mit den Schädeln aneinander. Diesmal fiel sie nicht hin, als ich gegen ihr Schienbein trat, sie schlug stattdessen auf meine Hand ein, mit der ich sie festhalten wollte – und rannte weiter. Der Regen spritzte vom Boden, Blut war an meiner Lippe. Aber es fühlte sich gut an. Als wäre ich Teil des Regens.
Ich ging langsamer weiter und versuchte, sie wie ein Tier zu wittern – aber da war sie schon wieder, blitzschnell, sie hatte mich in den Schwitzkasten genommen. Sie blieb einfach so mit mir stehen und schlug mir auf den Kopf, dass es richtig wehtat, und die Luft blieb mir weg, aber ich wollte so bleiben und wehrte mich nicht, bis sie weiterlief.
Als ich sie das nächste Mal sah, saß sie auf einem Streusalzkasten in der Nähe einer Laterne, bewegte die Zehen und sah über mich hinweg, als würde sie mich gar nicht bemerken. Aber sie sah mich, sie zog ihre Unterhose aus und spreizte die Beine.
Ich sah mich um: Da war nur der Lichtkreis der Laterne und die rauschende Dunkelheit
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