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Das große Leuchten (German Edition)

Das große Leuchten (German Edition)

Titel: Das große Leuchten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Stichmann
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ich zucke wieder zusammen … ja, mit dem Tod eines Familienmitglieds, meiner Mutter, das habe er gemeint.
    Dann lässt er mich frei.

    Es ist so, dass ich eine Weile im Slalom herumlaufen muss, die Düne runter und ein Stück in die Dunkelheit hinein, mir ist einfach schwindlig von diesem Mann und von seiner Technik, alles Mögliche aus einem herauszusaugen. Extrem trickreich, ein Könner in seinem Bereich, so viel ist klar.
    Ich mache den Mund auf, um tief durchzuatmen – stattdessen kommt ein leiser Quietschton raus, ein jämmerliches Fiepsen, das aus mir rausgepresst wird. Ein Ton, der nicht zu mir gehört.
    Oben stehen Abu, Rupert und der Derwischmann wie eine kleine Familie im Licht der Lampe. Robert als der Größte weiter links, etwas entfernt von den anderen. Als wollte er zeigen, dass neben ihm ein Platz für mich ist, dass ich zurückkommen soll.
    Er steht da tatsächlich souverän, denke ich.
    Ganz unbeeindruckt von den Anbiederungsversuchen des Derwischmannes, zumindest bleibt er immer noch distanziert.
    Was dem Derwischmann recht gibt auf eine merkwürdige Art. Als wäre Robert einfach mehr Derwisch als der Derwischmann.
    «HOME!», ruft der jetzt.
    «Was?», rufe ich.
    «Home! Home!»

4
    Wir befinden uns im Inneren der Düne. Dem Derwischmann zufolge handelt es sich um ein altertümliches Bewässerungssystem – diese Düne ist hohl, eine Lehmhöhle mit einer Unmenge Sand obendrauf. Der Eingang besteht aus einer morschen Holztür, dahinter befindet sich ein runder Raum, in dem wir sitzen, und dahinter geht es durch eine weitere Holztür tiefer ins Erdreich – in ein verstecktes Labyrinth aus Abwasserkanälen. Eine unterirdische Stadt, wenn man der schaltkreisähnlichen Zeichnung neben der Tür glauben will.
    Wir sitzen auf einem dünnen, fast mit dem Lehmboden verwachsenen Teppich, im Kreis um mehrere Kerzenleuchter herum, die den Raum hell ausleuchten; die Wände sind mit allerhand Zetteln und kleinen Plakaten behangen: Nelke und Stacheldraht, Hammer und Sichel, auch eine Tierpfote, Halbmonde und eine Hand Fatimas aus Plastik.
    Auf einem Tischchen mit Löwenfüßen liegen Berge von Papier, daneben steht ein grauer Klotz von einem Laptop. Ich versuche, durch die halboffene Tür in die Kanäle zu sehen, kann aber nur erkennen, dass dort ebenfalls Kerzen brennen. Dass es dort weitergeht.

    Der Derwischmann sitzt im Schneidersitz, die Augen einmal mehr geschlossen in seinem strengen und feinen Gesicht. Ledrig und sonnenverbrannt, scharf geschnitten und mager. Es ist eigentlich nicht mehr zu leugnen, dass eine Kraft von ihm ausgeht. Als er die Augen aufmacht, sitzen sie hellwach in ihren Höhlen, als würde er aus einer Maske zu mir rausgucken. Ich bin froh, dass ich Robert ansehen kann – ich bin überhaupt froh, ihn dabeizuhaben. Er hält mich in der Runde, denke ich. Er sitzt als mein Verbündeter neben dem Derwischmann.
    Zur anderen Seite des Derwischmannes sitzt Abu, mit einem dieser rosafarbenen Handspiegel in der Hand, die wir bekommen haben. Wir sollen uns für eine letzte, abschließende Übung im Schneidersitz voreinandersetzen und uns im Spiegel des Anderen betrachten, übersetzt er. Danach würden wir zu Ana gebracht.
    Ich rutsche mit meinem Handspiegel in Roberts Richtung, und er will auch zu mir – aber der Derwischmann hebt seinen Stock und winkt Robert zu sich. Die beiden setzen sich fast ineinander, ganz nah, als hätten sie das schon öfter so gemacht. Ich habe Abu vor mir.
    «Du musst den Spiegel hochhalten», sagt er.
    Damit fixiert er auch schon sein Spiegelbild, mit neugierigem Blick – hat inzwischen anscheinend einen ganz eigenen Ehrgeiz entwickelt. Will sich hier weiterbilden. Ich sehe sein braunes, molliges Gesicht mit den winzigen Falten. Sie scheinen immer mehr zu werden, je länger ich ihn fixiere – und dann guckt er mich plötzlich an und sieht doch wieder ganz jung und unschuldig aus. Ist sofort wieder dieser kompakte, frohe Mensch ohne Hals. Überhaupt nicht einzuschätzen eigentlich.
    «Du sollst dich angucken!», sagt er zu mir.
    Und das stimmt, aber etwas hält mich davon ab. Ich sehe nur kurz mal hin: mein Gesicht, meine Augen, ich kenne sie ja. Auch diese Angst, dass ich mir selber zuzwinkern könnte im Spiegel. Und ich strenge mich an, keinen besonderen Gesichtsausdruck zu machen, aber das führt zu einem verkniffenen Blick, und als ich mit dem Nichtblinzeln beginne, wirkt mein Gesicht plötzlich vollkommen kalt. Es verschwimmt nicht, es wird nicht zu farbigen

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