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Das große Leuchten (German Edition)

Das große Leuchten (German Edition)

Titel: Das große Leuchten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Stichmann
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Familie lagert, und wir lagern mit. Und auf einem seitlichen Haufen lagern die Ledergamaschen, die Frauenschuhe und Sandalen, ebenfalls eng ineinander.
    Ich frage: «Ist Onkel Bizhan denn schon zurück? Kommt er bald?»
    Der komme bald, sagen sie. Wir sollten jetzt Opa Kaveh kennenlernen.

    Da entsteht er auch schon. Schlurfend, aus den Weiten seines dunklen Gartens heraus. Mit seiner dicken Hornbrille, die Jogginghose bis unter die Brust hochgezogen, auf dem Kopf eine Wollmütze.
    Wacklig und alt.
    Abu steht sofort auf und hilft ihm die Stufe zur Terrasse hoch, und im nächsten Moment sitzt er zwischen Robert und mir und massiert meine Hand mit den Daumen. Robert zuckt mit den Schultern, die anderen scheinen sich gar nicht dafür zu interessieren – sie reden laut durcheinander. Ich versuche zu erkennen, ob Opa Kavehs Blick noch klar ist oder ob er gar nicht mehr weiß, wer hier wer ist – aber ich sehe es nicht, er massiert mich vom Unterarm aufwärts und redet angeregt in die andere Richtung.
    Lässt dann von mir ab und malmt Lammfleisch mit seinem zu großen Gebiss, das ihm immer halb rausrutscht. Und seine Frau schüttelt den Kopf, weil er sich nicht helfen lassen will mit dem Schneiden und weil sie das Problem wohl schon kennt – mehrere schütteln den Kopf darüber. Und mehrere sagen mir, dass Onkel Bizhan bald käme. Und dass Bizhan ein sehr zuverlässiger Mann sei, sehr stark und sehr fromm.
    Und ich frage mich, was das heißen soll, wenn ein sehr frommer Mensch losgeht, um eine Kommunistin aus einem Versteck abzuholen. Aber ich sage lieber nichts, die Blicke sind schon etwas gekränkt, weil ich nichts essen will, weil ich meinen Teller immer wegschiebe, woraufhin er mir mit einer großen Portion Fleisch drauf wieder zurückgeschoben wird.

    Was ich nach und nach verstehe, ist, dass man hier streitet, über alles und nichts, über Sport und Politik und Religion – aber es ist offenbar eine lustvolle Sache. Abu kommt mit dem Übersetzen kaum hinterher. Opa Kaveh diskutiert mit dem Mann neben ihm über die Russenmafia und wie gefährlich die sei – erzählt uns dann, wie er als junger Mann mit dem Lkw durch die Wüste fuhr und Schiffsschrauben durch die Gebiete der Russenmafia transportierte. Und dass er selbst ja weder Russen noch Chinesen noch überhaupt Kommunisten ertragen könne. Dazu schwimmen seine Augen merkwürdig glücklich hinter den dicken Gläsern. Aber es hat sicher nichts mit Ana und mir zu tun, was er sagt, denke ich, er ist eben tatsächlich nicht mehr ganz klar.
    Die Tanten streiten währenddessen über ein ganz anderes Thema, sie schenken sich gegenseitig Tee nach und keifen sich an.
    Von rechts redet einer der jüngeren Onkel auf uns ein, er sagt, er sei Christenbuddhistenjudenmoslem, eigentlich alles zusammen, weil er modern denke, und was wir denn seien? Er reicht mir den Schlauch einer Wasserpfeife, auch die anderen Männer saugen an den Schläuchen, während die Frauen plötzlich wieder stiller werden und abräumen – wohl infolge einer inneren Dramaturgie.
    Die Männerrunde rückt noch näher zusammen. Robert sagt zu dem Onkel, dass er hauptsächlich Christ sei, und ich sage, dass ich es nicht weiß, dass ich eigentlich gar nichts bin, zumindest bislang – und daraufhin nickt der Onkel, als hätte ich etwas sehr Kluges gesagt. Auch die anderen Männer nicken, ich bin irgendwie vorhanden mit meiner Meinung, auch wenn ich keine habe. Als hätten sie mich schon ausreichend eingeschätzt. Und Opa Kavehs Augen bewegen sich in diesem Moment gruselig schelmisch hinter der Brille, seine Hundebacken hängen, weil er sein Gebiss rausgenommen hat: Ein brauner, unförmiger Knochen auf dem Teller. Als er auch noch seine Brille abnimmt, sieht sein Gesicht noch tausendmal älter aus, fast nicht mehr menschlich. Er ist ein Morgenland-Hobbit geworden, denke ich. Aber ein harmloser Morgenland-Hobbit, keiner, der irgendwie fanatisch wäre, nehme ich an. Was sagt er mit seiner kleinen, langsamen Stimme?
    Dass ich hier mein Ende finden werde.
    Ich sage: «Was?»
    Dass ich hier ein gutes Ende finden werde, sagt Abu schnell.
    Nein, nein. Es heiße wirklich gutes Ende. Er habe es versehentlich falsch übersetzt.

    Als ich über dem Erdloch im Klohaus hocke, schüttle ich den Kopf. Dass ich schon wieder Gefährliches erahne, wo gar nichts Gefährliches ist – wobei ich mich jetzt in der dunklen Stille mehr und mehr beruhige. Denn diese Leute werden vielleicht teilweise religiös sein, aber deshalb sind

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