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Das große Leuchten (German Edition)

Das große Leuchten (German Edition)

Titel: Das große Leuchten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Stichmann
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das wohl kaum – aber diese Familie hat mit Sicherheit Bargeld und Wertsachen zu Hause; ich werde vernünftig vorgehen, habe schon den Rest aus der Schnapsflasche getrunken, um mich zu stärken. Um mich in diesem Zustand auf der Steinmauer hinter dem Haus wiederzufinden, in der Bastianstraße 7–9, über dem Garten kniend, bereit zum Sprung.
    Und springe.
    Das heißt – zuerst sehe ich noch mal in den nackten Himmel, aus dem diese teuflischen Sterne immer verschwinden, wenn man sie einzeln fixiert, und dazu brennen meine Schläfen und erzeugen einen Druck und eine Ungeduld, bis ich schließlich genug Willenskraft zum Springen aufbringe – aber es wird ein unglückliches Stürzen, ich hätte es sehen müssen. Ich knicke um, liege mit pochendem Knöchel im Garten und komme nicht mehr hoch; ein Brennen bis in den Oberschenkel. Und ich muss mich hinknien und die Zähne zusammenbeißen, während ich zur Seite krieche, während vor mir ein Licht entsteht: Das ist Ana.
    Beziehungsweise, das ist natürlich nicht Ana, aber so ähnlich wird sie auch auf der Terrasse stehen, wenn wir erst so eine Wohnung mit so einer Terrasse haben, denke ich: als junge Mutter am Abend. Als leuchtende Mutter unter der Außenlampe rauchend.
    Wobei mich diese Mutter hier zum Glück nicht sehen kann, ich befinde mich außerhalb des Lichtscheins, von wo aus ich sehr deutlich ihr helles Gesicht, ihre gesenkten Lider und ihre fast durchsichtigen roten Wimpern sehen kann.
    Die mich ein kleines bisschen wütend machen.
    Die mich nach einer Weile, ich erschrecke selbst darüber, richtiggehend hitzig werden lassen – aber warum muss sie auch so dastehen, warum muss sie sich so zärtlich die Arme reiben, als hätte sie eine unendlich kostbare, empfindliche Haut? Als wäre sie überhaupt ein ganz besonderes Wesen. Mit zarten, winzigen Sommersprossen überall?
    Wahrscheinlich ja.
    Wahrscheinlich wirklich an allen Stellen, denke ich, und zusätzlich noch Muttermale, die sie mit ihrem Mann untersucht, damit sie keinen Hautkrebs bekommt. Und dass der Mann sehr einfühlsam sein muss, ist eigentlich auch schon deutlich geworden, dass er dünne weiche Wollpullover trägt und trotzdem sehr kräftig ist und voller gutem Vaterblut.
    Wie er da im Hintergrund entsteht. Als Bewegung im Schatten.
    Während sie ihre Zigarette ausdrückt und in die Wohnung geht, zielstrebig; denn mit Unwirklichkeitsgefühlen kämpft sie nicht, so viel ist klar, sie stimmt mit sich überein, während die Außenlampe wieder ausgeht und ich mich erhebe.
    Denn meine Schmerzen sind weg.
    Und ich habe das befreiende Gefühl, meinen Körper nicht mehr richtig zu spüren, als befände ich mich ein kleines Stück über ihm. Ich kann jetzt aufstehen und langsam Richtung Terrassentür humpeln, mein Knöchel ist ein dumpfer Druck, nicht mehr, und vor mir bewegt sich einer meiner Finger und schiebt die Terrassentür auf.
    Waschmittel und Schlaf. Ein kleines bisschen Schweiß. Familienaroma.

    Dass ich mich also im Schlafzimmer befinde. Nehme ich an.
    Und dass der Spalt hellen Lichts weiter vorne der Flur sein muss. Und dass die formlosen Widerstände in der Luft Wäscheständer sind. Ein dunkler Parcours, der hier extra für mich aufgestellt wurde – denn es scheint mir jetzt ganz angemessen, hier zu sein, es hat zumindest eine Folgerichtigkeit. Und wer weiß, vielleicht bin ich auf eine gewisse Weise sogar erwünscht? Vielleicht wünschen sich die Eltern so einen Zwischenfall sogar, auf eine sehr merkwürdige, unbewusste Art?
    Links spüre ich die Patronen in der Jackentasche und rechts ein paar Schnapsflaschenscherben, ich blute am Daumen, egal. Wichtig ist jetzt, dass ich mich aufrecht bewege, weil es natürlich auch eine Frage der Körpersprache ist, weil es unnötig beängstigend wirken würde, wenn jemand das Licht anmachen und mich hier gekrümmt entdecken würde. Wer findet schon gerne jemand Gekrümmtes in seinem Schlafzimmer vor? Nein, dass ich die Wirbelsäule unbedingt durchstrecken sollte, denke ich und gehe so durch das Schlafzimmer und den Flur bis zu dem hellen, schwankenden Spalt, der jetzt zitternd vor mir zum Stehen kommt.
    Die Dinge verschwimmen, egal, es fühlt sich gar nicht falsch an. Es sind eben die Wärme und die Perfektion, die mich kurz weinerlich werden lassen: Die Küche schwimmt in ihrem eigenen Licht. Eine Küche bei Nacht, deren Glitzern etwas Verbotenes an sich hat. Der Türspalt hat exakt die Breite meines Gesichts – und das Ganze ergibt ein Bild aus einem

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