Das große Leuchten (German Edition)
es sicher auch romantisch finden. Vater Merizadi sei auch mal so romantisch gewesen, aber das sei leider lange, lange her.
Daraufhin kommt von vorne ein Lachen und ein Grunzen. Die Familie ist in Ferienstimmung und Robert offenbar auch. Er schält Orangen für den Vater, redet bei allem mit, benutzt sogar persische Worte, die ich nicht kenne.
Aber ich sehe nun mal dieses Auto hinter uns, und für einen Moment kommt es mir sogar vor, als würden Abu und seine Mutter mich mit Absicht davon abbringen wollen.
Abu sagt, es sei sicher nur die allgemeine Grundangst, die mich gepackt habe, diese Grundangst, mit der man in diesem Land ja immer rumlaufe. Das sei normal, und es sei schlimm, und deshalb wolle er ja eines Tages auch hier weg. Aber ich sei eben überhaupt nicht daran gewöhnt und könne die Dinge deshalb nicht richtig einschätzen.
Dann legt er eine Kassette ein und erzählt etwas über Sima Bina, seine Lieblingssängerin.
Und ich versuche, mich langsam wieder rauszusteigern.
Vielleicht liegt es auch einfach an der Müdigkeit und an der Platzangst in dieser engen Karre, sage ich mir, und am übertriebenen Fahrstil des Vaters, der Verfolgungsjagd suggeriert.
Als ich das nächste Mal die Augen aufmache, ist es schon Nacht geworden. Wir stehen am Straßenrand. Robert schläft neben mir auf dem Rücksitz, zusammengerollt wie ein kleiner Junge.
Von draußen kommt orangefarbenes Licht, ich sehe ein kleines Steinhaus mit einer Leuchtschrift über der Tür und ein paar Kleiderständer, T-Shirts und Camouflage-Plastikjacken. Etwas unsinnig in dem Nichts, in dem wir uns hier zu befinden scheinen. Ich will grade aussteigen, als ich plötzlich zwei Männer sehe, die vorgebeugt und mit ausgestreckten Händen an einer Mauer lehnen – ein Soldat tastet sie von hinten ab.
Ganz langsam und selbstverständlich.
Ein zweiter Soldat steht mit einem Maschinengewehr dahinter. Erst denke ich, die beiden Männer sind Abu und sein Vater, aber es sind zwei dunkelhäutige Männer mit Wollmützen auf dem Kopf. Nach einer Weile lässt der Soldat von ihnen ab und zündet sich eine Zigarette an, und der andere nimmt sich auch eine aus der Schachtel, während er mit der anderen Hand weiterhin sein Gewehr auf die Männer richtet.
Ganz locker und lässig. Das Weiß ihrer Augen glänzt im Scheinwerferlicht eines vorbeifahrenden Autos. Sie sehen in meine Richtung und reden.
Plötzlich rutscht mir der Türgriff aus der Hand, weil meine Hände schwitzen, die Tür geht ganz auf, und der Soldat richtet das Gewehr auf mich.
Nach einem Moment lächelt er. Er sagt etwas zu seinem Kollegen, und der nickt und lächelt auch.
Ich weiß nicht, ob ich die Hände heben soll. Mein Herz schlägt bis zum Hals.
Dann kommen Abus Vater, Abus Mutter und Abu aus dem Steinhäuschen und bleiben stehen, anscheinend waren sie länger drinnen und haben nichts mitbekommen. Der Soldat macht eine Bewegung mit dem Gewehr, zeigt an, dass sie schnell ins Auto gehen sollen.
Das machen sie, sie kommen schnell rüber, steigen schweigend ein und werfen Getränke und Kartoffelchips auf die Rückbank, und Abus Vater lässt den Motor an und lenkt den Wagen langsam auf die Straße.
Erst nach einer ganzen Weile frage ich, was eben passiert ist. Die Straße ist leer, und die Laternen sind hell, aber Abus Vater hat das langsame Tempo beibehalten. Mutter Merizadi ist inzwischen wieder damit beschäftigt, Pistazien zu schälen; Abu hat leise das Radio angemacht und raucht.
Er sagt, ich hätte es doch gesehen, und ich hätte es ja selber herbeigeredet, das sei nämlich gefährlich gewesen, damit könne ich zufrieden sein. Dann schnippt er seine Zigarette aus dem Fenster und sagt, er habe es nicht so gemeint. Ich hätte es natürlich nicht herbeigeredet. Aber es sei trotzdem anstrengend, wenn ich die ganze Zeit über Soldaten in irgendwelchen Autos reden würde, das führe zu nichts. Wenn da welche seien, hätten sie jedenfalls nichts mit uns zu tun. Und mit den beiden alten Männern hätten wir ja auch nichts zu tun gehabt, deshalb sei es egal, er wisse nicht, was da los gewesen sei.
Robert hat überhaupt nichts mitbekommen, er schläft immer noch. Vor uns färbt sich die Straße rosa im Sonnenaufgang.
3
Gegen Mittag: rauschende, dunkelgrüne Wälder, mit 180 Stundenkilometern bergaufwärts, Adrenalin und Schwindel auf der schmalen Straße, gegen die Scheiben peitschende Zweige. Ich wache aus einem diffusen Schlaf auf, merkwürdig erschöpft von dem kurzen Halt in der
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