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Das große Leuchten (German Edition)

Das große Leuchten (German Edition)

Titel: Das große Leuchten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Stichmann
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Verstecks. Ana kicherte hinter mir, sie war wieder etwas beweglicher geworden. Saß aufrecht im Schlafsack und murmelte schon wieder etwas vom Weiterziehen, vom Trampen, vom Neujahrsfest in Teheran, zu dem wir rechtzeitig da sein könnten, wenn wir uns jetzt bald aufmachen würden.
    Ich schwieg dazu.
    Ich sagte mir, dass sie immer noch kränklich im Kopf war von der Grippe und froh sein konnte, dass sie in mir einen Beschützer hatte. Sie befand sich nun schon seit Tagen in einer verschnupften, labilen Fröhlichkeit – hielt sich die Hände vor die Augen und guckte zwischen ihren Fingern durch, nahm die Hände dann weg und legte sie wieder vor die Augen: alles da und alles verschwunden. Wie bei diesem Kleinkinderspiel, wenn das Kind noch glaubt, es wäre Gott und es gäbe nichts hinter den geschlossenen Augen.
    Lescek sagte nichts.
    Vielleicht, dass er irgendein Geräusch von sich gab, aber als ich ihn ansah, widmete er sich sofort wieder seiner Jacke. Er war am Morgen gekommen, er hatte mich in der Stadt gesehen und war mir gefolgt, und jetzt saß er im Schneidersitz an der Wand und hatte seine Bomberjacke im Schoß, nähte die ganze Zeit daran herum. Merkwürdig schüchtern. Auch wie er nach seiner Pistole gefragt hatte, die ich ihm nicht gegeben hatte – und trotzdem schwieg er immer noch und verhielt sich passiv, mir gegenüber richtiggehend unterwürfig. Wenn Ana etwas sagte, sah er zuerst mich an, als müsste er meine Einwilligung haben, um ihr zu antworten.
    Eigentlich müsste ich ihn hassen, dachte ich, aber so kleinlaut und verändert, wie er jetzt da saß, schien mir das Ganze in eine viel bessere Richtung zu laufen: neue Machtverhältnisse, die sich hier ergaben. Er duckte sich sogar unter meinen Blicken, schien das Ganze wiedergutmachen zu wollen.
    «Sorgen», sagte er zu mir. «Ich hab Sorgen gehabt wegen der Pistole.»
    «Interessiert mich jetzt nicht», sagte ich.
    «Es tut mir alles leid! Nein, nicht wegen der Pistole! Wegen euch!»
    Sein Gesicht war so grau, wie ich es kannte. Aber er hatte sich zum fünften Mal entschuldigt. Er schien ernsthaft nett sein zu wollen – oder zwang ihn etwas dazu, nett zu sein, weil er meine innere Autorität wahrnahm, meine neue, entschiedene Haltung?
    Ich stand jedenfalls sehr fest in meinem Parka. War eigentlich selbst erschöpft, blieb aber straff.
    Ana hatte gar nicht zugehört, sie schmierte sich ein Brot, aß und plauderte mit vollem Mund vor sich hin: Lescek solle mal Magnesiumtabletten nehmen, weil seine Fingernägel so bläulich seien, das sei nicht gesund, er solle mal zum Arzt gehen deshalb, und seine Zähne sähen auch aus, als könnte mal wieder ein Zahnarzt ran. Sie sagte es schroff, als wollte sie klarmachen, dass sie nichts Besonderes mehr von ihm wollte, und es beruhigte mich, während mir langsam klar wurde, dass Lescek wohl tatsächlich Freunde suchte.
    Ich roch es. Hatte eine Nase dafür.
    Zum Zahnarzt könne er ja nicht, weil er keine Krankenversicherung habe, erklärte er. Aber das sei ihm eigentlich auch egal, weil er nämlich vor allem froh sei, uns wiederzusehen, weil wir die ersten netten Leute seien, die er getroffen habe in diesem Land. Und die ganze Zeit im Wohnwagen, erklärte er, habe er uns wie Geschwister empfunden, auch wenn er vielleicht wenig geredet habe – das sei alles sehr toll für ihn gewesen.
    «Geschwisterliebe also», sagte ich. «So sah es aber nicht grade aus.»
    Mein Blick lag sehr streng auf seinem Gesicht.
    Auch Ana spürte es, ich spürte, dass sie es spürte – dass ich eine kräftige und überlegene Haltung produzierte. Indem ich mich vor Lescek hinstellte, indem ich auf eine gewisse Art aus meinem Parka herausnickte und ihm seine Pistole wiedergab.
    «Mir ist es egal, ob er hierbleibt oder nicht», sagte Ana. «Du musst das entscheiden.»
    «Es kommt ganz darauf an», sagte ich. «Ob er uns weiterhelfen will.»

5
    Denn so konnte es funktionieren.
    Er saß mir am nächsten Tag in der U-Bahn gegenüber und wirkte jünger als sonst, weil er sich rasiert hatte. Ich hatte mich auch ein bisschen zurechtgemacht und mir die Haare gekämmt: Wir wollten nicht unnötig auffallen in der Menge. Er selbst hatte den Vorschlag gemacht, es auf diese Art zu versuchen. Ich solle einfach mal abwarten und ihn machen lassen.
    Was plauderte er jetzt?
    Irgendwas Freundliches wieder: dass er immer das Gefühl habe abzuheben in diesen schnellen deutschen Bahnen, dass es ja eine ganz andere Technik sei als in anderen Ländern. Ich

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