Das große Leuchten (German Edition)
gleichzeitig vergangenen und künftigen Leben, ich erinnere mich: die Spülmaschine, der dreiäugige Strahler an der Decke. Dazu ein Vater und eine Mutter, die gegenwärtig noch sehr jung sind und entspannt zusammensitzen. Sie mit dem nackten Fuß auf dem Oberschenkel des Vaters und der Vater von unten mit der Hand in ihre Schlafanzughose fahrend, gefühlvoll ihre Wade streichelnd.
Während beide etwas ansehen, das sich außerhalb meines Blickfelds befindet.
Ich drücke die Tür noch ein bisschen weiter auf und begreife dann, dass da Klaviermusik läuft, eine leise, anfassende Klaviermusik. Die Eltern sehen sich ein Konzert in ihrem kleinen Küchenfernseher an, ein Open-Air-Konzert mit einem singenden Pianisten. Er spielt eine Ballade, zu der genau diese zarte Stimme gehört, die zwischendurch auch rau werden darf, die Stimme des stadionfüllenden Sängers.
Die ich mit einem Summen begleite.
Aber sie hören mich nicht, und ich denke, dass ich jetzt auch nicht einfach reinplatzen kann, das nicht, sie wirken grade so entspannt, es würde unnötig respektlos wirken – es ist besser, erst mal zu gucken, ob es möglich ist, sich mit ihrem Jungen anzufreunden.
Schon lustig. Dass meine Gedanken so klar sind und gleichzeitig so weit weg. Ich stelle mir vor, noch immer im Garten zu sitzen und meinen Geist von dort aus fernzusteuern. Aber es ist nicht so, ich bin im Flur und spüre das Brennen in meinem Knöchel wieder stärker.
Erahne etwas wie eine Garderobe und einen Schrank und frage mich, ob sich Geld darin befindet – oder in dem Medizinschränkchen dort vielleicht eine Schmerzsalbe? Für meinen Knöchel? Ob es in Ordnung wäre, sich mal kurz an dem Medizinschränkchen zu bedienen?
Das jetzt mit einem braven Klicken vor meinem Gesicht aufgeht. Etwas Licht kommt aus der Küche in den Flur, buntes Licht, zusammen mit einem schnelleren Lied, und es streicht über die Schlüssel, die hier hängen, eine ganze Menge Schlüssel. Der Ort für die Medizin ist offenbar ein anderer.
Aber auch das ist mit Sicherheit so vorgesehen in dieser Wohnung.
Ja, wahrscheinlich muss es Orte geben, die Außenstehende wie ich nicht kennen: Die grüne Teekanne der Großmutter ist im Bücherschrank zu finden, die Medizin möglicherweise in der Besenkammer; denn die Dinge der Familie haben natürlich ihre ganz eigenen Plätze eingenommen mit der Zeit. Sie sind angefasst und beseelt worden durch die Familie.
Sodass ich mit einem beinahe demütigen Gefühl ins nächste Zimmer weiterhumple – und es ist wieder das Schlafzimmer, dieser angenehm dumpfe Geruch, die kühle Aura nasser Wäsche im Dunkeln. Es ist alles so stimmig in diesen Räumen. Als ich meinen Weg zurück in den Flur finde, spendet der Sohn mir Licht, indem er die Badezimmertür grade hinter sich schließt. Und auch das, der nächtliche Ausflug des kleinen Jungen: wie stimmig und rhythmisch, wie sanft in seinem grünen Frotteeschlafanzug.
Geht da so klein und warm ins Klo.
Geht da ins helle Licht des Bades.
Das natürlich zu grell ist, nachdem man schon geschlafen hat. Ich kann das sonderbar intensiv mitfühlen, als wäre ich der Junge, als würde ich hier wohnen: Jetzt bin ich also noch mal wach geworden, mitten in der Nacht. Der späte Gang zur Toilette. Die Sauberkeit, das Summen im Kopf. Und etwas aus dem Traum, das einen hat wach werden lassen, etwas Bizarres, das aber seine Macht verliert. Denn alles ist ruhig. Niemand ist tot oder pervers. Mutter und Vater sind noch in der Küche, morgen ist Mittwoch oder Samstag, der nächste Tag eines weiterhin friedlichen Lebens. Hier: Der Bademantel ist wieder vom Haken gefallen. Und weit entfernt fährt ein Auto und bringt ein kleines Frösteln bei dem Gedanken an draußen, drinnen aber ist es warm, die Dinge des Lebens sind an den richtigen Stellen vorhanden. Jetzt: der gesunde Geruch des Stuhlgangs. Die gründliche Spülung. Dann eine Vorfreude in den Knien und den Beinen, ein richtiges Glück in den Gelenken, dass man sich gleich wieder hinlegen kann. Das Bett ist noch warm, der nächste Traum wird mit einem besonders schönen Gedanken begonnen: das Nachbarmädchen, der Sonnenausflug, die plötzliche Allmacht des Begabten, die wilde Wiese mit dem Klee, die Anteilnahme der Freunde – und die Tür geht auf, und neben dem Bett steht der Gekrümmte. In seinem Parka. Macht alles tot.
Das nicht.
Ich strecke lieber meine Finger aus und drücke die Wohnzimmertür nach innen – etwas hektisch jetzt, obwohl ich mich nur langsam
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