Das große Los: Wie ich bei Günther Jauch eine halbe Million gewann und einfach losfuhr (German Edition)
Hamburg und München pendelte: Man kann bequem ein Doppelleben führen, die Welt nimmt kaum Notiz, wenn man mal verschwindet. Jeder wohnt auf seinem eigenen kleinen Planeten– und mit engen Freunden lebt man ohnehin in einer Art Daueranwesenheit per Mail und Skype.
Ich habe erste offizielle Termine, es geht um Jobs, Projekte, Aufträge. Ich sitze an Konferenztischen, bei Treffen in Cafés und beobachte mich, wie ich wieder meine professionelle Funktioniermaske aufsetze. Äußerlich wirke ich engagiert und interessiert, innerlich verdrehe ich oft die Augen. Das ist euer Problem? Das findet ihr wichtig? Immer noch? Es kommt mir alles so unbeweglich vor, so stecken geblieben. Es wird mühsamer als gedacht, sich wieder in die Strukturen einzusortieren.
In der Ethnologie gibt es den Begriff Liminalität: den Schwellenzustand zwischen zwei Entwicklungsstadien, die Phase zwischen » nicht mehr« und » noch nicht«. Ziemlich genau dort befinde ich mich gerade. Nicht mehr weg, noch nicht hier. Begleiterscheinung der Liminalphase ist oft, dass man schon Verhaltensweisen des Zielzustands imitiert im Versuch, sich schneller zu integrieren. Sagt der Ethnologe. Mit anderen Worten: Fake it till you make it.
Das dürfte noch lustig werden die nächsten Wochen.
Der erste Monat
» Na, bist du schon angekommen?«, fragen mich alle.
Ich sage dann immer: » Physisch ja. Der Rest kommt nach«, und dann nicken sie, als wüssten sie, was ich meine.
Aber es gibt nur wenige, die das wirklich wissen, und deren Nähe suche ich gerade. Leute, die schon mal länger weg waren, die jahrelang im Ausland gelebt haben oder selbst eine Weltreise gemacht haben. Ich kenne gar nicht so wenige, wie ich jetzt verblüfft feststelle, und alle sagen dasselbe: Es ist schlimm am Anfang. Eine amerikanische Freundin schreibt: » Don’t cry because it’s over, smile because it happened.«
Ein Kollege, der mehrfach auf Weltreisen unterwegs war, sagt, er sei hinterher immer monatelang schlecht gelaunt. Wobei die schlechte Laune abnehme. » Früher war es ein Jahr Wegsein, ein Jahr schlechte Laune. Dann ein Jahr Wegsein, ein dreiviertel Jah r s chlechte Laune. Jetzt nur noch ein halbes. Es wird also besser.«
Es ist toll, wieder hier zu sein, lüge ich allen vor. Was soll ich auch sonst sagen? Was soll ich vor allem mir selbst sonst sagen? Das holprige Heimkommen ist vermutlich unvermeidlich, das ist der Preis, den man fürs lange Wegsein zahlt. Die dicke Birne nach dem großen Rausch. » Kein Kater, keine Party«, kommentiert mein Computer-Guru Jacob ungerührt. Aber die Unbehaustheit, das Fehl-am-Platz-Sein hätte ich eigentlich eher da draußen als hier in der Heimat erwartet.
Meine Freunde sind enttäuscht, dass ich nicht angemessen glücklich bin, wieder zuhause zu sein. Ja, es ist schön. Aber ich weiß jetzt, dass es auch woanders schön ist. Und dass ich mich dort ebenfalls wohlfühle. Warum sollte ich, wie könnte ich diesen einen Ort, Hamburg, für den ausschließlichen halten? Er ist nur eine Möglichkeit. Für die ich mich irgendwann mal entschieden habe und vorerst auch weiter entscheide. Aber das muss nicht für immer sein. Nach diesem Jahr ist alles möglich. Das ist großartig und schrecklich zugleich.
Trotzdem tue ich alles, um mich wieder heimisch zu fühlen. Vielleicht muss ich mein Nest neu bauen? Ich stelle die Möbel um, lasse die verschlissenen Esszimmerstühle beziehen, ersteigere einen gebrauchten Teppich, eine Tischlampe aus den Siebzigern. Der eBay-Händler schreibt mir, sie habe früher der Frau des Bürgermeisters von Uelzen gehört, was mich vollkommen entzückt. Ich merke, dass ich die Geschichten hinter den Sachen interessanter finde als die Sachen selbst.
Ansonsten tue ich das, was unterwegs so befriedigend war: Ich lasse systematisch Neues in mein Leben. Wie gehabt systematisch erratisch, zufallsgetrieben. In einem Museumsshop kaufe ich mir ein Origami-Set und bringe mir bei, Tulpen und Lilien aus Papier zu falten. In einem Seminar lerne ich, wie man die Erkenntnisse der Quantenmechanik auf das Denken anwenden kann. Ich gehe in Restaurants, in denen ich noch nie war, ich kaufe portugiesisches Bier und andere Dinge, die ich sonst nie kaufe. Meine Laune wird besser.
Das Fremdeln macht aber auch aufmerksamer: Viele Dinge in meiner Wohnung sehe ich zum ersten Mal richtig an. Ich habe zum Beispiel seit Jahren ein großes gerahmtes Foto eines unbekannten Mädchens. Es war eine Einsendung für den Fotowettbewerb einer
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