Das große Los: Wie ich bei Günther Jauch eine halbe Million gewann und einfach losfuhr (German Edition)
hat mich der Lärm noch verrückt gemacht, inzwischen bin ich süchtig nach diesem Grundrauschen, dem Hupen und Motorengeheul, den Rufen von der Straße, dem ächzenden, kreischenden Drahtkäfigaufzug in meinem Treppenhaus und dem Frauenchor, der zweimal die Woche im Stock über mir probt.
Ich glaube, am Ende des Jahres werde ich die Städte mit verbundenen Augen erkennen können, an ihrem Sound und an meinem Puls. Denn der Unterschied zur tiefenentspannten Surfertown Sydney könnte nicht größer sein, und auch ich bin hier eine andere: mehr unter Strom, mehr in Bewegung. Ich laufe wie aufgezogen durch die Straßen, ich lasse mich treiben, ich gehe verloren. In diesem Monat beginnt die Reise erst wirklich: Sydne y war z um Runterkommen, Buenos Aires ist zum Reinkommen.
Zunächst mal ist die Stadt eine phantastische Einstiegsdroge für Südamerika– auch wenn alle sagen: Argentinien ist anders als Südamerika und Buenos Aires anders als Argentinien. Für meine Zwecke ist es genau richtig: Man findet sich gut zurecht, die Straßen sind mit dem Lineal durchgerastert, die wunderschönen Häuser an den großen Boulevards erinnern an Madrid oder Paris. Auch die Leute sehen fast europäisch aus, man sieht viel Blond, viele blaue Augen. Die Männer, puta madre!, traumschön. Zwar mit einer unseligen Neigung zu Vokuhila und Nackenzöpfchen und zudem rund einen halben Meter zu kurz für mich, aber wenn man vor einem Café sitzt: ah, welche Pracht da an einem vorbeistolziert!
Ich mag schon jetzt, nach zwei Monaten, diesen Moment am spätestens dritten Tag, wenn aus dem Stadtplan eine Stadt wird. Wenn man genau weiß, an welcher Ecke man abbiegen muss, wie weit es zum Eisladen ist, wo der Bus hält und dass er oft nicht hält, dass Zebrastreifen hier amüsante, nicht weiter ernst genommene Straßendekorationen sind, wie die Choreographie des Bürgersteigs ist. Geht man links, geht man rechts, weicht man aus, guckt man sich in die Augen oder besser nicht, wie eng steht man an einer Ampel nebeneinander? Jede Stadt hat ihre eigenen Regeln, ihre eigene Sprache. Zuhause gucke ich oft nicht mehr genau hin, wenn ich durch die Straßen gehe, ich bin in Gedanken versunken und sehe gar nicht, was rundherum passiert. Hier draußen habe ich die Augen weit offen und finde alles sensationell. Das liegt sicher zum Teil an Buenos Aires, zum größeren Teil aber an meiner Aufmerksamkeit. Ich bin fast sicher, dass ich auch Hamburg spektakulär finden würde, wenn ich nur mal hinsehen würde.
Zwei Dinge werden also am Ende dieses Monats auf meiner Was-ich-gelernt-habe-Liste landen, das weiß ich jetzt schon: Spanisch & Spazierengehen. Das erste lerne ich in einem Sprachkurs, das zweite bringt mir die Stadt bei. Beides ist ganz neu für mich und doch sofort wahnsinnig einleuchtend. Und ein absolut kindisches Vergnügen. Nein, halt: ein erwachsenes Vergnügen; Kinder finden ja beides, Schule und Sonntagsspaziergänge, eher lästig. Angeblich stammt das Wort Schule vom altgriechischen Wort für Müßiggang ab. Für die Einwohner Athens war Lernen eine elitäre Freizeitbeschäftigung– quasi das Golfspielen der Antike. Das habe ich in meiner Schulzeit natürlich anders gesehen, aber es stimmt: Nichts ist spannender und entspannender als freiwilliges Lernen. Gerade eine neue Sprache biegt die Hirnwindungen in ganz andere Richtungen. Und eine neue Weltanschauung gibt’s gratis dazu.
Ein Beispiel? Aber gern. Im Spanischen gibt es für unser harmloses Verb sein zwei Wörter, ser und estar. Grob gesagt wird ser verwendet, wenn es gilt, etwas Unabänderliches zu beschreiben, estar für einen vorübergehenden Zustand. Ich finde das eine philosophisch bezaubernde Vorstellung, schon per Wortwahl klarmachen zu können, dass die Dinge nicht immer so sind, wie sie sind, sondern halt nur zurzeit. Verliert man ja oft aus den Augen, dass es morgen schon wieder ganz anders sein kann.
Faszinierende Fußnote: Das Wort für Single, soltero beziehungsweise soltera, wird von Männern fast immer zusammen mit ser verwendet, von Frauen mit estar. Estoy soltera: Ich bin gerade Single (= aber habe nicht vor, das zu bleiben). Sagen die Frauen. Wie gesagt, ganz anders die Männer: Soy soltero (= macht auch nix, wenn für immer).
Was mich betrifft: Soy soltera und mache täglich drei Kreuze. Stell Dir vor, ich hätte jetzt einen Kerl am Hals! Der zuhause sitzt und sich mopst oder, schlimmer noch, mitreisen wollte. Nie hätte ich, da bin ich sicher, die Schnapsidee zu
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