Das große Los: Wie ich bei Günther Jauch eine halbe Million gewann und einfach losfuhr (German Edition)
Wie elegant.
Ebenso wie in der Savile Row beginnt alles mit dem Vermessen. Die Beinlänge wird ermittelt, der Rahmen ausgewählt, die Reifenstärke, die Anzahl der Gänge. Sören Sögreni, der seit 30 Jahren Räder baut, setzte sich mit mir eine Stunde an den Tisch, sprang immer wieder auf, um Materialproben zu holen, scheuchte mich vor die Tür zu einer Probefahrt auf seinem eigenen Rad, weil wir in etwa eine Beinlänge haben, riet ab von neun Gängen ( » brauchst du nicht in Hamburg«), debattierte das Für und Wider seiner wahnsinnig schönen Holzschutzbleche. Ergebnis: ein Rad mit Unisex-Rahmen in Dunkelblau matt mit hohem Lenker, honigfarbenem Brooks-Sattel und honigfarbenen Ledergriffen, mit Kupferblechen und Kupferklingel, die bald aufs Schönste matt patinieren werden.
Ich: » Kriegen die grüne Patina wie Kirchendächer?«
Sören: » Nur wenn ich draufpinkle.«
Der baut das jetzt in aller Ruhe und im Frühling hole ich es ab– damit habe ich einen ersten konkreten Plan für das Jahr danach, an das ich sonst noch gar nicht denken mag. Aber jetzt, mit der Aussicht auf dieses Fahrrad, ein bisschen lieber.
Und wie es der Zufall will, ist Sören Kuba-Spezialist. Er war schon oft dort, er wird Anfang nächsten Jahres mehrere Radtouren über die Insel führen und er wird mich für meinen Dezember in Havanna mit jeder Menge Geheimtipps versorgen. Es war ein sehr glücklicher Nachmittag.
Zumal ich die 1500 Euro, die mich das Rad kosten wird, mit dem größten Vergnügen und reinsten Gewissen ausgegeben habe. Du hast mich ja gefragt, wie teuer dieses Jahr wird, inzwischen habe ich es mal zusammengerechnet– und war selbst überrascht vom Ergebnis.
Budgetiert hatte ich üppige 5000 Euro pro Monat, 6 0 000 also für das Jahr, plus 2 0 000 Euro Sicherheits- und Spielgeldpolster für unvorhergesehene Ausgaben. Ich wollte komfortabel leben, das Geld aber auch nicht sinnlos für Fünf-Sterne-Hotels und First-Class-Flüge verpulvern, wozu auch?
Was ich nicht einkalkuliert hatte: Da ich ja von unterwegs weiter arbeite, muss ich an mein Budget weit weniger ran, als ich gedacht habe. Und das Leben ist in einigen Städten viel erschwinglicher als zuhause. Buenos Aires, Mumbai, Shanghai waren beschämend billig. Sydney, San Francisco, London, Kopenhagen schon teurer, klar.
Aber trotzdem: Inklusive Miete für die Wohnungen und Flugkosten gebe ich pro Monat zwischen 3000 und 4000 Euro aus und lebe dabei fürstlich. 140 Quadratmeter feinster Jugendstil in Buenos Aires, zentral gelegen, mit wöchentlichem Reinigungs- und Bettwäscheservice: 1000 Euro im Monat, nur so als Beispiel. Ein Mittagessen in Mumbai: 50 Cent bis zwei Euro. Eine U-Bahnfahrt in Shanghai: 40 Cent. Und so weiter.
Was mich zu der völlig schockierenden Erkenntnis bringt: Ich hätte das Geld von Wer wird Millionär? gar nicht gebraucht. Ich hätte jederzeit losziehen können. Ich hatte es immer selbst in der Hand, es wäre auch so gegangen. Als mir das klar wurde, habe ich erst mal nach Luft geschnappt. Andererseits weiß ich auch, dass ich ohne den Gewinn so ein Jahr nicht mal ansatzweise in Erwägung gezogen hätte; ich wäre schlichtweg nicht auf die Idee gekommen, es mir leisten zu können. Es war mein bisher allergrößtes Aha-Erlebnis und hoffentlich eine Lehre fürs Leben: Es ist immer viel mehr möglich, als man in seiner Betriebsblindheit für denkbar hält.
Gleichzeitig bemerke ich, dass ich meinen Job, der ja so herrlich transportabel ist– mein Laptop und damit mein gesamtes Büro passt in meine Umhängetasche– gerade fast wie nebenbei erledige. Zuhause ist er das Zentrum meiner Gedanken und Planungen, mein Daseinszweck und meine Existenzberechtigung. Hier draußen sind andere Dinge wichtiger– und trotzdem oder gerade deshalb scheint die Arbeit davon zu profitieren, dass ihr nicht meine ganze Aufmerksamkeit gilt. Ich schaffe dasselbe, ich schaffe es nur schneller und lockerer, weil ich Besseres zu tun habe. Eigentlich müsste das doch auch zuhause möglich sein, oder?
All diese Beobachtungen, verbunden mit der Erfahrung, dass ich jetzt schon den neunten Monat aus einem 22-Kilo-Koffer lebe, ohne das Geringste zu vermissen, gehen mir gerade mächtig im Kopf herum. Schön, dieses Jahr ist eine Ausnahmesituation mit einem Anfang und einem Ende, da ist es leicht, sich auf eine andere Lebensweise einzulassen.
Aber wer sagt eigentlich, dass es ein Ende geben muss? Könnte ich nicht einfach so weitermachen? Oder würde mir dann doch etwas
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