Das große Los: Wie ich bei Günther Jauch eine halbe Million gewann und einfach losfuhr (German Edition)
fehlen? Und wenn ja, was?
Erwarte bitte noch keine Antworten von mir, ich bin noch ganz und gar damit beschäftigt, mir Fragen zu stellen. Aber ich beginne nach diesem Gefühl der Freiheit und des Anything goes süchtig zu werden. Und am allermeisten nach dem Gefühl der Unerpressbarkeit.
Ihr Bankleute habt ja den schönen Ausdruck fuck you-money erfunden, für die Geldsumme, die es einem ermöglichen würde, alles hinzuwerfen und trotzdem so weiterzuleben, wie man möchte. Meine Mutter hatte immer ein ähnliches, wenn auch bescheideneres Konzept namens Fluchtgeld: Über die Jahre hatte sie stetig etwas vom Haushaltsgeld abgezweigt und weggebunkert für den höchst unwahrscheinlichen Fall, dass mein Vater ihr mal dumm käme und sie einen flotten Abgang hinlegen müsste. Es ist eine Art Lebensversicherung im allerbesten Sinn: Es geht nicht darum, das Geld je zu nutzen, doch allein das Wissen, dass man jederzeit abhauen könnte, ist Gold wert. Es ist wie ein Rettungsboot: Hoffentlich braucht man’s nie, aber dass es da ist, sorgt für die entspannte Gewissheit, dass es immer einen Ausweg gibt.
Diese Idee hat mir immer eingeleuchtet, ich hatte deshalb auch immer drei, vier Monatsgehälter auf einem Tagesgeldkonto flüssig, einfach für den unbezahlbaren Luxus, jederzeit nein sagen zu können. Das Problem ist: Ich habe mich in den letzten Jahren durch Wohnungskauf und Freiberuflichkeit eben doch erpressbar gemacht. Nein sagen zu Aufträgen, die mir vielleicht nicht so liegen, und damit riskieren, keine mehr zu bekommen? Konnte ich mir nicht leisten. Wollte ich aber wieder. Allein deshalb habe ich mich überhaupt nur bei Jauch beworben: um mir die Freiheit finanzieren zu können, auch mal einen schlecht dotierten Auftrag zu übernehmen, der mich interessiert, statt einen gut bezahlten, der weder mich noch die Welt weiterbringt. (Mein Konzept hieße deshalb auch eher No, thank you-money. Getreu dem Zitat von Nassim Taleb: » Man ist nur dann reich, wenn das Geld, das man ablehnt, besser schmeckt als das Geld, das man annimmt.«) Dass es dann gleich so gut klappen würde… tja.
Und jetzt, mein Lieber, überlege ich, wie ich dieses berauschende Gefühl der Unerpressbarkeit bewahren kann. Das ist nämlich eine erstklassige Droge. Mit Geld kauft man sich ja nicht nur Zeugs, sondern finanziert sich vor allem Gefühle: Sicherheit, Status, Macht, Großzügigkeit, Leichtsinn– oder eben auch Unabhängigkeit. Was immer man halt am nötigsten hat.
Du kennst mich gut genug: Luxus brauche ich nicht, mein Lupo ist zwölf Jahre alt, Schmuck macht mich nervös und ich bin alt genug, um zu wissen, dass ein weiteres Paar Schuhe nicht die Erlösung bringt. Was mich dagegen brennend interessiert und mir jeden letzten Cent wert ist: Freiheit.
Seit diesem Jahr mehr denn je. Ich gucke mir deshalb gerade sehr genau auf die Finger: Mit wie wenig komme ich aus? Was ist unverzichtbar? Brauche ich meine große Wohnung zuhause eigentlich wirklich? Oder besser: Liebe ich sie so sehr, dass ich bereit bin, für sie einen Teil meiner Freiheit zu opfern?
Mit anderen Worten: Wie will ich leben? Es sollte nur eine Reise sein, aber inzwischen ist es eine Expedition zu den Fundamenten meiner Existenz. Und ich drehe gerade wirklich jeden Stein um.
Das ist also das Innen. Barcelona ist das Außen. Und es ist ein verdammt anstrengendes Außen. Ich wohne im Born, dem Altstadtviertel, drei schmale Stiegen hoch, in einer winzigen Wohnung mit Deckenbalken. Schwer romantisch das Ganze: Die Carrer d’En Boquer ist eine dieser malerischen engen Gassen, über die sich Wäscheleinen spannen, während unten die Nachbarn ein Schwätzchen halten… das Klischee des Südens.
Okay, Schwätzchen: stimmt. Wäscheleine: auch.
Und es war ein großartiges Gefühl, zum ersten Mal die eigenen Klamotten als Gassendekoration rauszuhängen. Aber in meiner Phantasie kam nie eine dauerbesoffene Britin in der Wohnung gegenüber vor, die nachts um vier die Musikanlage auf Anschlag dreht und dazu in ihr Handy brüllt. Und es kam auch kein Mädchen im Stockwerk darüber vor, das jeden Nachmittag Oboe übt, ohne jemals besser zu werden. Und es kam auch keine Müllabfuhr vor, die nachts um drei durch die Gassen rattert und die vor den Häusern herumliegenden stinkenden Müllsäcke einsammelt.
Liegt es an dem Getöse draußen oder an der stickigen Hitze, die in den Straßen und meiner Wohnung steht, ich war jedenfalls die ersten Tage hier richtig grantig. So genervt und
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