Das große Los: Wie ich bei Günther Jauch eine halbe Million gewann und einfach losfuhr (German Edition)
gelegentlich schade. Es muss toll sein, so eine Instanz im Leben zu haben, denke ich oft, so einen großen Trost, eine tiefe Geborgenheit. So stelle ich mir das zumindest vor, aber hier redet eine Blinde von den Farben. Wobei: Ich heule in Kirchen, immer. Setz mich ins Weihnachtsoratorium und ich kriege mich überhaupt nicht mehr ein. Da ist also irgendwo ein Bedürfnis oder zumindest eine Empfänglichkeit. Nur wird das von der organisierten Klerikalität so gar nicht befriedigt.
Ein großes Aha-Erlebnis dieser Art hatte ich neulich auf einem Kurztrip nach Jerusalem, und zwar in der Grabeskirche, dem Allerheiligsten des Christentums. Sie ist erbaut an der Stelle, wo laut Überlieferung Jesus gekreuzigt und begraben wurde. Um jeden Quadratzentimeter dieser Kirche werden erbitterte Kämpfe zwischen diversen christlichen Fraktionen geführt, die alle Besitzansprüche anmelden: die Griechisch-Orthodoxen streiten mit den Franziskanern, der Armenisch-Apostolischen Kirche, der Syrisch-Orthodoxen Kirche von Antiochien, den Kopten und der Äthiopisch-Orthodoxen Tewahedo-Kirche. Wer wann wo wie lange beten kann, ist genau geregelt. Oft werden die Gebetszeiten jedoch nicht eingehalten, es gab schon wiederholt Handgreiflichkeiten unter den Mönchen. Eine kleine Gruppe der Äthiopier lebt in einer Art Occupy-Camp auf einem der Kirchendächer, das von den Kopten beansprucht wird. Es ist einsturzgefährdet, der Streit um die Besitzrechte verhindert seit Jahren eine Renovierung. Zw is chen den Gruppierungen ist der Dissens so groß, dass seit dem 12. Jahrhundert der Schlüssel zur Grabeskirche in der Hand ein und derselben muslimischen (!) Familie ist, die jeden Morgen um 4.30 Uhr aufsperrt und abends um 20 Uhr wieder abschließt.
Und als ob das an Absurdität noch nicht genügen würde, tobt vor und in der Kirche der heilige Bimbam: Devotionalienhändler mit Plastikkruzifixen und Weihrauchfässern und Rosenkränzen, Pilgergruppen mit einheitlichen Baseballmützen, die auf dem Rücken hölzerne Leihkreuze über die Via Dolorosa schleppen (die ausgerechnet von palästinensischen Jungs wieder an den Startpunkt zurückgebracht werden– der Irrsinn!), eine blitzlichternde Touristengruppe aus Bad Wörishofen in der Golgatha-Kapelle ( » Ihr könnt das jetzt fotografieren, aber ihr habt das alles auch auf der DVD .«– » Ist die auch auf Deutsch?«– » Natürlich. In sieben Sprachen.«), Frauen, die sich über den Salbungsstein werfen, mitgebrachtes Öl darauf gießen und das Tuch, mit dem sie das abwischen, in Toppits-Plastikbeutel einzippern… ach, ich höre ja schon auf. Ich merke gerade, dass ich mich in einen heiligen Zorn hineinschreibe. Wollte ich nicht. Siehst Du? Das passiert, wenn Du mich nicht stoppst.
Woran ich also glaube? An ein Leben vor dem Tod. An Empathie. Aufmerksamkeit füreinander. Sagen & Fragen. Dass es immer und immer und immer wieder darum geht, sich einander mitzuteilen und den anderen verstehen zu wollen. Du hast irgendwann mal geschrieben » Mir und den Menschen, die mir wichtig sind, wurde immer geholfen– das kann ich nicht immer direkt zurückgeben. Aber streuen.«
Daran glaube ich auch: an random acts of kindness, an sinnlose Freundlichkeit, die keine Gegenleistung erwartet. Ich glaube, die wirkt viral– ihrerseits ansteckend.
Ich glaube, dass sich ein Leben daran misst, wozu man Ja und wozu man Nein sagt. Ich glaube nicht, dass man einen Gott braucht, um ein moralisches Gerüst zu haben. Und ich glaube an Veränderung. Daran, » dass nichts bleibt, dass nichts bleibt, wie es war« (wir sind die Hannes-Wader-Generation, Du und ich, oder?).
Ich trage keinen Schmuck, das Geklingel an Arm und Hals macht mich nervös. Die einzige Ausnahme ist ein schmaler silberner Ring an meinem Zeigefinger. Den habe ich mir gekauft, als ich vor ein paar Jahren von der Liebe meines Lebens verlassen worden bin. (Oder sagen wir besser: meines bisherigen Lebens. Ich habe ja noch ein paar Jahrzehnte.) Ich war über Monate unzurechnungsfähig, untröstlich; ich wollte nicht mehr, ich konnte nicht mehr. Eine richtig schlimme Zeit. » Die größte Katastrophe, die Sie bisher erlebt haben«, diagnostizierte damals mein mitfühlender Hausarzt, der mich erst mal unter Beruhigungsmittel setzte.
Aber nie habe ich so viel gelernt wie in dieser Phase. Dass ich nicht so tough bin, wie ich dachte. Dass ich Freunde habe, die das auch nie geglaubt haben. Dass ich plötzlich unglaublich viel Zeit und Energie für meine eigenen
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