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Das große Los

Das große Los

Titel: Das große Los Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georges Simenon
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herüberschickte.
    Es war jetzt etwa zwei Uhr früh. Eine Gruppe von vier Fremden, die gerade gekommen waren und schon allerhand intus hatten, klatschten laut und lachten brüllend, ohne das Ende der Tanznummer abzuwarten.
    Die Nacht schien sich länger hinzuziehen, als Lili gedacht hatte, und sie sah wieder vor sich, wie Justin Duclos gelächelt hatte, als sie ihm gute Nacht sagte.
    Noch bei keinem anderen hatte sie dieses Lächeln gesehen, das Lächeln eines Menschen, der vieles hinter sich und für alles Verständnis hatte.
    Warum sollte er nicht auch das verstehen? Und hatte er hier womöglich sogar seinen Spaß daran?
    »Auf dein Wohl!«
    Man sah Schweißspuren auf Nataschas Rücken. Es wurde allmählich heiß. Lili in ihrem zu engen Kleid spürte Beklemmung. Sie sang noch mal, für die neuen Gäste, die es ganz toll fanden, den Takt mitzuklatschen. Sie bemerkte, daß Lapointe Whisky trank und schon beim dritten Glas war, als müsse er seine Nervosität niederkämpfen.
    Als sie ihre Gesangsnummer beendete, saß Natascha bereits am Tisch der Fremden, denen der vertrocknete Kellner soeben einen Sektkübel hingestellt hatte.
    Sie ließen sie ebenfalls an den Tisch kommen, und sie fürchtete schon, Lapointe würde empört einschreiten.
    Um vier waren außer dem Inspektor nur noch drei Gäste da, und Louis wandte sich zu den Musikern und klatschte in die Hände.
    »Feierabend!«
    Lili folgte Natascha ein weiteres Mal auf die Treppe. Beide griffen sie nach Handtüchern, um sich abzuschminken. Die Tänzerin hatte schlaffe Haut und zog die Mundwinkel griesgrämig nach unten.
    Wie zu Beginn des Abends hatte Lili den Eindruck, daß ihr eine Frage oder Bemerkung auf der Zunge lag. Besser, sie nicht zu verprellen und zu warten, bis sie von allein damit kam.
    »Ich glaube, du bist schwer in Ordnung.«
    Lili lachte.
    »Glaub’ ich auch.«
    »Warum hast du dem Bullen gesagt, daß Lucy Perrin vielleicht gar nicht tot ist?«
    »Weiß nicht. Nur so. Um ihn zu triezen.«
    Sie machte eine Pause, suchte eine saubere Ecke an ihrem Handtuch und sagte dann mit mehr Ernst:
    »Vielleicht stimmt es sogar.«
    »Meine ich auch.«
    »Ach!«
    Natascha legte jetzt jedes Wort auf die Goldwaage, und Lili mußte sich hüten, zu große Neugier zu zeigen.
    »Ich bin mir da nicht sicher. Aber ich hab’ schon gestern abend gesehen, daß sie zu diesem Job nicht taugt. Ich hab’ sie gefragt, ob sie keine Angst hat. Bei diesen Irren, die früh um vier Frauen abmurksen, weiß man ja nie.«
    Lili tat, als fröstele sie.
    »Ich habe ihr noch gesagt, ich an ihrer Stelle würde ’ne Weile ins Grüne fahren.«
    »Und was hat sie gemacht?«
    »Keine Ahnung. Ist mir auch schnuppe. Wenn ich du wäre, würde ich mich auch selber aus dem Verkehr ziehen.«
    Lili sah sie an. Es war nicht auszumachen, ob in Nataschas Haltung eine Drohung lag.
    »Und wo soll ich dann hin?«
    »Irgendwohin. Aufs Land.«
    »Ich hab’ aber Louis versprochen …«
    »Louis findet so viele, wie er will.«
    Sie war im Morgenrock, einem Morgenrock von undefinierbarer Farbe, voll Puder und Schminke.
    »Ich muß unbedingt anrufen …« sagte sie plötzlich.
    Und Lili, mit Unschuldsmiene:
    »Wen denn?«
    Die Tänzerin ging ohne Antwort hinaus. Ganz allein im Raum, bekam Lili es allmählich mit der Angst. Einen Augenblick lang kam es ihr so vor, als habe sich der Knauf der Verbindungstür zum Nebenzimmer gedreht. Sie stand auf und suchte ihr Kleid, da sie auf keinen Fall halb angezogen überrascht werden wollte, und vernahm dann Schritte auf der Treppe, langsame, gemessene Schritte mit dem besonderen Quietschen, wie es gewisse Lackschuhe an sich haben.
    Louis trat auf die Schwelle, als sie gerade in ihr Kleid schlüpfte, und sie fragte sich, ob sie Angst vor ihm haben müsse. Er wirkte todmüde, hatte dunkle Ringe unter den Augen. Er traute sich nicht, ihr ins Gesicht zu blicken. Er gab auch keine Erklärung, warum er heraufgekommen war.
    Sie fragte ihn mit gespielter Unbefangenheit:
    »Wie gefällt Ihnen meine Nummer?«
    Irrte sie sich? Horchte er nach unten, als fürchte auch er, überrascht zu werden?
    »Die Nummer ist gut, sogar die beste, die ich je gehabt habe, aber …«
    Er brachte den Satz nicht zu Ende. Jemand kam leichten und raschen Schrittes die Treppe hoch. Es war Natascha, die beide sogleich rasch nacheinander scharf musterte, als wolle sie sie in flagranti ertappen.
    »Sie wollen ihr wohl grade an die Wäsche?« fragte sie Louis mit verächtlich verzogenem Mund.
    Er lachte

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