Das Große Spiel
werde nicht schlau aus ihm...«
Kurz vor sieben Uhr in der Früh erreichte die Kutsche ihr Ziel. Versailles war mehr als ein Königspalast, Versailles war monumental, gigantisch, eine Welt für sich. Es wimmelte von Lakaien, Kammerdienern, Sekretären, Sänftenträgern, Musketieren, Polizisten, Soldaten und Besuchern aus aller Welt. Überall waren Pferde, Kutschen, Kaleschen und Sänften in Bewegung. Wer keine Empfehlung oder Einladung vorweisen konnte, hatte beim Eingangstor eine mühsame Prozedur zur Prüfung seines Begehrs über sich ergehen zu lassen. Wer nicht der Etikette entsprechend gekleidet war, konnte die nötigen Kleidungsstücke mieten. Der Palast des Sonnenkönigs war zu großen Teilen öffentlich zugänglich, aber nach einem minutiös geregelten Protokoll.
Die Kutsche des Duc d'Orleans wurde umgehend in den Vorhof durchgewunken und fuhr dann zwischen den imposanten Verwaltungsgebäuden zum gepflasterten Königshof hinauf. Diener erwarteten den Herzog. Sie öffneten die Kutschentür, öffneten die meterhohen Türflügel und begleiteten den Herzog und den Schotten in den großen Gesandtensaal. Er war bereits mit Menschen überfüllt, die aus allen Teilen Frankreichs frühmorgens aufgebrochen waren, um ins Zentrum der Macht vorzustoßen. Wie aus dem Nichts tauchten neue Diener auf, verneigten sich vor dem Herzog und begleiteten ihn durch die Menschenmenge bis zur großen Marmortreppe, die in die Gemächer des Königs hinaufführten. Hier gab es bereits mehr Musketiere als Besucher. Im oberen Stockwerk empfingen neue Diener die frühen Gäste und begleiteten sie durch eine lang gezogene Galerie, deren siebzehn Arkaden mit Spiegelscheiben verkleidet waren. Die Fenster auf der anderen Seite waren alle weit geöffnet und gaben den Blick auf eine scheinbar endlose Gartenanlage frei, man sah Brunnen, Teiche und dreißig Meter hohe Bäume, die entlang den Kanälen und Seen Alleen bildeten. Obwohl die Bäume so groß waren, hatte man sie wie Hecken tailliert. Auch der gefühlsärmste Besucher musste angesichts dieser Pracht und Größe in Ehrfurcht und Bewunderung erstarren. Man hatte den Eindruck, auf die Gärten Gottes hinauszublicken. Für einen Normalsterblichen ergab dieser Gigantismus keinen Sinn. Nur Götter konnten dreißig Meter hohe Wälder wie kleine Gartenhecken taillieren, weil die Erde für sie nichts anderes war als ein kleiner Garten unter dem Himmel.
John Law blieb unvermittelt stehen. Er war beeindruckt. Der Duc d'Orleans registrierte es mit dem Anflug eines Lächelns. Er holte vor einem offenen Fenster Luft. Doch die Luft, die in die große Galerie strömte, stank nach saurem Urin und menschlichen Exkrementen. John sah sich um, sah die Dutzenden von Kronleuchtern, die großen Kandelaber aus Silber, die schweren, goldbestickten Vorhänge aus weißem Damast, Gold, Silber, Marmor, Malereien, antike Skulpturen in den hohen Mauernischen, goldbronzene Stauten. Das Gewölbe zeigte monumentale Malereien, Kompositionen des Hofmalers Charles le Brun, der das Leben des Sonnenkönigs an die Decken der großen Galerie gezaubert hatte.
»In der Tradition der Antike«, lächelte der Herzog und wies auf die Deckenmalereien. »Aber man hätte sich noch andere Dinge aus der Antike borgen können. Achttausend Menschen leben in diesen Mauern, und jeden Tag kommen zehntausend Besucher nach Versailles ... und wissen Sie, wie viele Aborte wir hier haben? Keinen. Nur knapp dreihundert Nachttöpfe, das ist alles. Und das ist genau das, was Sie hier riechen, Monsieur: Pisse und Scheiße. Fünfzig Jahre lang wurde hier gebaut, zigtausend Arbeiter haben hier geschuftet, Tonnen von Gold, Silber und Marmor wurden herbeigeschafft und verarbeitet. Aber es gibt nicht einmal dreihundert Nachttöpfe.«
Am Ende der großen Galerie wurden sie von neuen Dienern empfangen und in das Vorzimmer des Königs geführt. Dort warteten bereits drei Dutzend Menschen. Die Stimmen waren gedämpft, es wurde getuschelt, geflüstert. John Law sah sich um. Sein Blick blieb an einem bekannten Gesicht hängen - dem Marquis d'Argenson, der sich im Gespräch mit dem Bankier Samuel Bernard befand.
Der Duc d'Orleans wandte sich an den Zweiten Kammerherrn der Königs. »Das Petit Lever«, sagte er.
Der Diener begrüßte jeden, der das Vorzimmer betrat, persönlich. »Monsieur John Law of Lauriston, Mathematiker und Bankier. Sein Vater war der königliche Münzprüfer von Edinburgh.« Der Zweite Kammerherr verneigte sich und bahnte sich einen Weg
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