Das Große Spiel
durch die Wartenden, bis er schließlich im nebenan liegenden Schlafgemach des Königs verschwand.
»Sie werden dem König vorgestellt, Monsieur Law. Behalten Sie um Gottes willen dabei Ihren Hut auf. Sprechen Sie nicht als Erster. Und wenn der König sagt: Kommen Sie zu Tisch, Monsieur, dann haben Sie dem Folge zu leisten, und zwar täglich, bis er Sie höflich wieder auslädt. Essen wird aber nur der König. Sie sitzen am Tisch auf einem Klappstuhl und behalten schön Ihren Hut auf.«
D'Argenson bahnte sich nun einen Weg durch die Wartenden und kam direkt auf John Law zu: »Kompliment, Monsieur, Sie haben Mut. Nicht jeder ist bereit, für seine Ideen zu sterben«, lächelte d'Argenson und schaute kurz zum Duc d'Orleans. »Haben Sie den Besuch mit Desmartes abgesprochen?«
»Nein«, antwortete ein Mann, der sich alsbald als Finanzminister Desmartes vorstellte. Er wandte sich an Law: »Glauben Sie wirklich, dass der König Ihre Ideen verstehen wird?«
»Zweifeln Sie etwa am Verstand Ihrer Majestät, des Königs?«, sagte Saint Simon spitz und zwängte sich keck zwischen d'Argenson und Desmartes nach vorne.
»War das Ihre Idee, Monsieur le Duc de Saint Simon?«, fragte d'Argenson drohend.
»Messieurs! Silence! Le Roi se leve.«
Ihre Majestät war aufgewacht. Ein Raunen ging durch die Wartenden. Die Türen zum Schlafgemach des Königs wurden geöffnet. Die Gäste setzten ihre Hüte auf und betraten andächtig das Schlafgemach des Sonnenkönigs. Die Holztäfelungen, die Vorhangstoffe, die Skulpturen, die Pilaster, alles war mit Gold veredelt, verziert, übergossen - es schien, als sei der ganze Raum schier in Gold gegossen. Und hinter einer goldenen Kordel, die als Schranke diente, saß er, Louis XIV., König von Frankreich, in einem wallenden Morgenmantel. Von Dutzenden von Bediensteten umgeben, saß er auf seiner chaise d 'affaire, auf seinem Nachttopf. Auf einem der dreihundert Nachttöpfe. Selbst der morgendliche Stuhlgang war ein öffentlicher Staatsakt. Ein wallender Morgenmantel verdeckte die Sicht auf die nackte Haut. Ein Diener betupfte den Nachtschweiß des Herrschers mit parfümierten Tüchern, ein zweiter entfernte die Schlafmütze, während ein dritter Ihrer Majestät eine gekürzte Perücke aufsetzte. Weitere vier Diener waren notwendig, um dem König ein Glas Wasser zu reichen. Bis zu hundert Diener beanspruchte das »Kleine Aufstehen« des Königs.
Entspannt parlierte Ihre Majestät, charmant, gebildet, galant. Ganz Gentilhomme. Ihre Majestät König Louis XIV. sprach nicht zu jemand Besonderem, Sie causierte. Die Nacht sei gut gewesen. Es klang, als habe Ihre Majestät verkündet:Wir haben England besiegt. Ihre Majestät wirkte gelassen, von einer eindrücklichen seelischen Ausgeglichenheit. Jede Geste war von erlesener Eleganz, jedes Wort historisch. Ein Schreiber hielt die Worte fest, ein Maler fertigte Skizzen der morgendlichen Szene an. Ihre Majestät war eine öffentliche Institution, ein Mensch gewordener Sonnengott. Und selbst wenn Ihre Majestät auf der chaise d'affaire saß, verlor Sie nicht an Würde. Ihre Majestät ertrug mit stoischer Ruhe die Mühsal eines trägen Darmes, wechselte ein paar Worte mit den anwesenden Prinzen, Herzögen und Grafen aus den Geschlechtern der Rochefoucauld, Bourbon, Anjou, während heftige Winde dem Darm Ihrer Majestät entwichen. Der Erste Chirurg und der Erste Arzt tauschten bedeutungsvolle Blicke, während Ihre Majestät mit einer geschmeidigen Geste auf den Duc d'Orleans wies und mit melodiöser, beinahe fröhlicher Stimme verkündete: »Monsieur le Duc, Sie haben die Ehre.«
Der Herzog verbeugte sich in großer Dankbarkeit und schritt demutsvoll zur goldenen Kordel. Ein Diener löste sie an der einen Seite und gewährte dem Duc d'Orleans Zutritt zu Ihrer Majestät. Der Sonnenkönig beugte sich ein wenig nach vorn, während zwei Diener seinen Morgenrock lüpften. Der Duc d'Orleans verneigte sich vor dem König, kniete nieder, ergriff den Nachttopf, zog ihn unter dem ausgehöhlten Sitz hervor und erhob sich wieder. Zwei Diener knieten hinter dem König und ließen sich von weiteren Dienern in Essig getunkte Leinentücher reichen, mit dem sie das Gesäß Ihrer Majestät reinigten und pflegten. Der Duc d'Orleans stand nun aufrecht neben dem König, den Nachttopf in der Hand. Der Erste Arzt und der Erste Chirurg begutachteten unterdessen den Inhalt des Topfes und unternahmen eine Geruchsprobe. Schließlich ging der Herzog mit dem Nachttopf zu einem
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