Das Große Spiel
Händen halten durften?«
»Spotten Sie nicht, Monsieur!«, entrüstete sich der Duc d'Orleans. »Die Ehre kostet mich hunderttausend Livre im Jahr. Und sie wird nur jenen gewährt, die ihren Stammbaum bis ins vierzehnte Jahrhundert nachweisen können.«
Ungehalten verließ John das Gebäude, der Herzog eilte hinter ihm her.
»Sie belieben zu scherzen, Monsieur«, lachte John, »Sie zahlen hunderttausend Livre dafür?«
Sie traten auf den Hof. Der Herzog gab einem Diener zu verstehen, die Kutsche vorfahren zu lassen.
»Oui, Monsieur. Hätte sich in der Antike nicht jeder Römer glücklich geschätzt, die Notdurft eines Zeus, Merkur oder Mars beseitigen zu dürfen?«
»Die Römer, Monsieur«, erwiderte John Law süffisant, »hatten schon vor zweitausend Jahren sanitäre Anlagen und eine Bade- und Körperkultur, von der wir in Europa nicht einmal zu träumen wagen.«
»Ich bedaure, dass Monsieur verärgert ist«, sagte der Herzog, als er in die Kutsche stieg. John Law folgte ihm und schloss die Tür hinter sich. Der Herzog gab dem Kutscher den Befehl, den Weg durch die Gärten von Versailles zu nehmen. Doch John Law fand keinen Gefallen mehr an diesem taillierten Göttergarten.
»Fünfzig Jahre Bauzeit, über hundert Millionen Livre Baukosten ... wahrscheinlich hat Samuel Bernard sogar Recht. Mein Bankensystem verträgt sich nicht mit einer Monarchie. Ein Monarch müsste der Verlockung widerstehen, uneingeschränkt Geld zu drucken, um ein weiteres Versailles zu bauen und weitere hundert Jahre Krieg zu führen. Wer bringt einen Monarchen zur Vernunft?«
Der Duc d'Orleans war zerknirscht: »Eigentlich müsste ich Sie tadeln, Monsieur Law. Sie beleidigen Ihre Majestät. Manch einer ist für kleinere Vergehen zu den Galeeren geschickt worden.«
»Ich bitte um Verzeihung, Monsieur le Duc«, lächelte John Law, »ich hätte gern Frankreich meine Dienste angeboten und dem Land, dem Volk und der Krone gedient.«
»Das adelt Sie, Monsieur«, gab der Herzog versöhnlich zurück, »aber haben Sie noch etwas Geduld. Haben Sie das linke Bein Ihrer Majestät gesehen? Es stinkt bereits nach Verwesung. Sobald ich Regent bin, werden Sie die Bank gründen, Monsieur. Das verspreche ich Ihnen! Unter der Bedingung, dass Sie mir heute Abend Gesellschaft leisten.«
John Law lehnte das Glas Wein ab, das ihm das junge Mädchen in dem hautengen Pantherfell anbot. Er saß auf einem königsblauen Sofa. Es war mit goldbestickten Lilien verziert. John Law wartete. Er wartete mit stoischer Ruhe. Doch der Morgen brach nicht an. Der Duc d'Orleans schlief tief und fest. Er lag ein paar Meter vor ihm entfernt auf dem Boden, hingestreckt wie ein kriegsversehrter Soldat, halb entkleidet.
Nach einer Weile sagte John Law: »Ich sagte vorhin: Pumpen Sie mehr Geld in den Wirtschaftskreislauf, und der Patient wird wieder lebendig.«
Dem Duc d'Orleans entwich nur ein animalisches Stöhnen.
Es war sinnlos. Absolut sinnlos.
»Noch so spät bei der Arbeit, Monsieur?«, fragte eine Stimme, während sich wohlriechende Handschuhe auf Johns Schultern legten. Orangenöl.
»Wir warten, dass der König stirbt, Madame«, seufzte John Law.
»Und der Duc d'Orleans ist dabei eingeschlafen?«, hauchte ihm Catherine ins Ohr und setzte sich neben John aufs Sofa.
Eine Weile saßen sie da und beobachteten den schnarchenden Herzog. Dann sagte John: »DerSchritt aus der Armut in eine gesicherte Existenz ist aufregend, motivierend. Aber wenn Sie schon reich sind wie unser Herzog, macht Sie ein bisschen mehr Reichtum nicht glücklicher. Sie können nicht mehr als ein halbes Kilo Filet, drei Flaschen Wein und ein paar Orgasmen am Tag haben. Wofür lohnt es sich also, härter zu arbeiten?«
»Für die Liebe«, flüsterte Catherine und küsste ihn auf die Wange.
»Ja, für dich, Catherine, lohnt sich jeder Atemzug. Aber es gibt noch etwas: eine Idee. Eine Leidenschaft.«
»Eine Vision?«, lächelte Catherine.
»Nein, nein, Catherine, keine Visionen«, lachte John Law und hielt zärtlich ihre Hand fest. »Eine Idee. Es ist wie ein großes Spiel. Und du willst gewinnen. Es geht nicht ums Geld. Es geht ums Gewinnen. Um die Befriedigung. Die hält länger an als tausend Orgasmen, fünfhundert Rinder und der Flascheninhalt von fünfzehn Weingütern. Diese Befriedigung wird ewig dauern, weil ein ganzes Land zu neuem Wohlstand erwachen wird. Und alle Menschen in diesem Land werden ein würdiges Dasein führen. Frankreich muss endlich aufwachen!«
Catherine zeigte
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