Das Große Spiel
mit dem Internat zu missfallen. John umarmte seine Mutter. Der Abschied schmerzte, doch die Wut, ans Ende der Welt verbannt zu werden, überwog und erstickte alle anderen Gefühle. Jean Law wusste, dass es gut war, ihren Sohn fernab der zahlreichen Verlockungen von Edinburgh zu wissen. In Renfrewshire würde er sich ganz dem Studium widmen können. Doch froh war sie nicht. Sie verlor den letzten Mann im Hause. John umarmte seine beiden kleinen Schwestern. Sie schienen nicht zu begreifen, dass es ein Abschied auf lange Zeit war. Dann umarmte er Janine. Als er sich wieder von ihr löste, sah er ihre verweinten Augen. John musste lächeln. Er beugte sich vor und flüsterte ihr ins Ohr:
»War nicht doch ein kleines bisschen Liebe im Spiel?«
Janine schüttelte heftig den Kopf und begann dann leise zu schluchzen.
»Geh zurück ins Haus, Janine«, befahl Jean Law. »John, sag jetzt deinem Bruder Lebewohl.« John schaute Janine nach, die im Haus verschwand.
Jane wandte sich zu William, der sich etwas abseits gehalten hatte: »Verabschiedet euch, ihr seid Brüder.«
William reichte John die Hand. John drückte sie, etwas fester als gewöhnlich: »Gib auf mein Anwesen Acht, Bruderherz«, grinste er. William trat mit dem Fuß nach ihm, doch John wich geschickt aus. »Falls du jemals erwachsen wirst, fordere ich dich eines Tages zum Duell heraus. Und wenn du mich besiegst, schenke ich dir meinen Anteil an Lauriston Castle.«
Jean Law stellte sich zwischen die beiden Streithähne und drängte John, die Kutsche zu besteigen. »Geh jetzt, John!«, sagte seine Mutter mit fester Stimme. Dabei griff sie blitzschnell in seine Manteltasche und zog einen Satz Spielkarten heraus.
John Law drehte sich verdutzt um. »Madam!«, rief er entsetzt.
»Die bleiben hier, John, die Karten, die schlechten Gewohnheiten, das lasterhafte Leben, das alles wirst du hier in Lauriston Castle zurücklassen!« John wollte protestieren, aber Madam hielt nur die Wagentür offen. Es blieb ihm nichts anderes übrig, als einzusteigen. Jean Law reichte ihm einen Brief in den Verschlag. »Für meinen Cousin, den Schulkaplan. Reverend James Woodrow. Du wirst ihm diesen Brief sofort bei deiner Ankunft geben.«
John Law nickte. »Ja, Madam, wie Sie wünschen.« Dann schloss er die Tür. »Ich komme wieder!« Durch das offene Fenster sah er seinen Bruder an.
»Und dann werden wir uns duellieren!«, schrie William.
John schaute über den Kopf seines Bruders hinweg zum Turmzimmer hinauf. Er sah Janine hinter dem Fenster. Die Kutsche fuhr los.
Als die Kutsche am Baijen Hole vorbeifuhr, ließen sie die letzte Straßenlaterne von Edinburgh hinter sich. Jetzt würden sie lange über Land fahren und an einem Ort aussteigen, an dem es keine Beleuchtung des Nachts gab und keine Kaffeehäuser und keine Janine. Nur enge Zellen und wissenschaftliche Bücher. John spürte einen Kloß im Hals. Er hätte gern noch einmal Madam umarmt. Er liebte seine Mutter. John verzog das Gesicht zu einer Grimasse, um seine Gefühle zu unterdrücken. Er musste sich zusammenreißen. Wenn er im Leben Erfolg und eines Tages »weder unbedeutend noch gering« sein wollte, dann setzte das die Bereitschaft zu leiden voraus. Wenn alles so einfach wäre, hätte jeder Mensch Erfolg, sinnierte John. Es lag also an ihm, sich von anderen Menschen zu unterscheiden. Jammern würde nichts nützen. Je weniger er haderte und lamentierte, desto einfacher würde es sein. Er war bereit, diesen Weg zu gehen.
Ein Lächeln schlich sich auf Johns Gesicht. Er stellte mit Genugtuung fest, dass er stets die richtigen Worte fand, um sich selbst zu helfen. Er schaute auf die dunkle Landstraße hinaus und dachte an Janine. Dann zog er einen Satz Karten aus seinem linken Stiefel hervor. Flink verteilte er die Spielkarten auf zwei Haufen und hob abwechselnd von den beiden getrennten Stapeln Karten auf. Er überschlug dabei blitzschnell, wie viele Punkte noch in den verdeckten Karten steckten. Als nur noch drei Karten verdeckt waren, murmelte er die Summe und deckte anschließend die drei Karten auf. Er hatte richtig geschätzt. Fünfundzwanzig Punkte, eine Zehn, ein Bauer und eine Dame. »Und noch einmal«, murmelte John. Er war entschlossen, seine Traurigkeit mit dieser Beschäftigung zu verdrängen. Er wusste, dass jeder Schmerz in der Brust mit der Zeit nachließ. Keine Trauer war ewig. Die Zeit arbeitete für ihn.
EAGLESHAM, SCHOTTLAND, 1683
»Ihr seid Abschaum.« Der fette Reverend Michael Rob
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