Das Große Spiel
vor zehn Jahren zwischen ihnen geherrscht hatten, noch immer da waren.
»Mein kleiner Bruder William«, sagte John freundlich.
»Ich bin William Law«, antwortete der junge Mann trotzig. John ging einen Schritt auf ihn zu und wollte ihm die Hand reichen. Doch William wich ihm aus. Janine schlich sich diskret aus dem Zimmer. Ihre Domäne war die Küche und die Erotik, nicht die Diplomatie.
»Hast du immer noch nicht verdaut, dass du bloß den Vornamen meines Vaters geerbt hast?«
»Ich habe ein hervorragendes Gedächtnis«, gab William trotzig zurück und presste die Lippen aufeinander.
»Du meinst, du bist sehr nachtragend. Ich habe auch ein hervorragendes Gedächtnis, aber ich bin dennoch nicht nachtragend. Nicht weil ich großzügig bin. William, nicht aus Gründen der Vernunft. Es ist einfach so. Es ist nicht mein Verdienst. Was einmal war, ist vorbei. Deshalb biete ich dir meine Hand an, Bruderherz.«
William rührte sich nicht vom Fleck.
»Es gibt Leute, die sich aus nichtigeren Gründen duellieren und dabei sterben«, fügte John hinzu. »Du bist mein Bruder, William. Du lebst auf meinem Grund und Boden.«
»Die Hälfte, John, nur die Hälfte«, sagte Jean Law und forderte ihn mit einer Handbewegung auf, am Tisch Platz zu nehmen.
»Ich weiß, Madam, nur die Hälfte«, sagte John und setzte sich an den Tisch, »wahrscheinlich lebt William auf der anderen Hälfte.«
William verließ wortlos den Raum. Jean Law seufzte. Dann wandte sie sich an John.
»Hast du Pläne, John? Bei deiner Begabung solltest du an eine Universität.«
»Ich habe verschiedene Begabungen, Mutter«, lächelte John und hielt nach Janine Ausschau. Sie war drüben in der Küche und hantierte am Herd. »Ich war zehn Jahre in Eaglesham, Madam. So finster kann kein Verließ in Schottland sein. Jetzt werde ich mich ein bisschen amüsieren. Habe ich mir das nicht redlich verdient, Madam?«
Jean Law schlug resigniert die Augen nieder. Doch John ergriff ihre Hand und streichelte sie sanft: »Ich möchte doch lediglich herausfinden, welche meiner Fähigkeiten mir am meisten Spaß macht, Madam.«
Sein Blick war dabei so mild, so voller Liebe und Zuneigung, dass Madam nicht umhinkonnte, ihrem Sohn ein bewunderndes Lächeln zu schenken.
Vom ersten Tag seiner Rückkehr an war John Law ein gern gesehener Gast in den Salons der vornehmen Häuser von Edinburgh. Ein vorzüglicher Kartenmischer, ein begnadeter Schnellrechner und charmanter Causeur. Obwohl erst Anfang zwanzig, benahm er sich wie ein alter Fuchs, der alle Gepflogenheiten und gesellschaftlichen Verhaltensregeln in den vornehmen Kreisen spielend beherrschte. Die jungen Damen zeigten ihm ihre Zuneigung immer unverblümter, setzen ihre Mouches auf »Kapitulation« und winkten John Law ungeduldig mit ihren Fächern herbei.
Nur selten kam John vor den frühen Morgenstunden nach Lauriston Castle zurück, wenn er überhaupt nach Hause kam. Meist schlief er dort, wo er die letzte Karte ausgeteilt hatte. Seiner Mutter Jean war bald nur allzu klar, welche seiner Begabungen ihm am meisten Spaß bereitete und dass man diese Begabung an keiner Universität der Welt verfeinern konnte.
Und so kam es, dass John Law of Lauriston seinen ganzen Besitz verspielte, die Hälfte von Lauriston Castle, an einen französischen Mathematiker namens Antoine Arnauld, der in der Stadt Edinburgh fast gänzlich unbekannt war.
Es war in den frühen Morgenstunden dieses schicksalsträchtigen Tages, dass eine Kutsche John Law nach Lauriston Castle zurückbrachte. Da John nicht in der Lage war, aus der Kutsche zu steigen, half ihm der Kutscher. Der Boden war vom Regen der letzten Nacht aufgeweicht. Unter dem Gewicht des groß gewachsenen Mannes versank der Kutscher noch mehr im Morast und blieb darin stecken, während sich John bis zum Brunnentrog schleppte, auf die Knie sank und dann den Kopf ins Wasserbecken hielt.
Jean Law stand hinter dem Fenster ihres Arbeitszimmers und beobachtete die Szene.
»Es wäre besser, er würde wieder verschwinden«, sagte William, als er Madam liebevoll den Arm um die Schulter legte.
»Irgendwann wird er sich ausgetobt haben«, antwortete Jean Law.
»Wenn einen Fuchs die Tollwut packt, dann musst du ihn mit einem Knüppel zu Tode prügeln, damit er Ruhe gibt.«
»Ich will nicht, dass du in diesem Ton von deinem Bruder sprichst. William. Ich möchte, dass ihr endlich Frieden schließt.«
William grinste: »Waren nicht auch Kain und Abel Brüder?«
Jean Law fuhr herum. Unwirsch
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