Das Große Spiel
Angelegenheit noch heute zu regeln.«
»Ich werde zahlen«, sagte eine Frauenstimme im Hintergrund. Jean Law trat aus dem Haus und ging auf den Boten zu. »Wie hoch ist die Summe?«
John Law beugte sich zu seiner Mutter hinunter und flüsterte ihr etwas ins Ohr. Das Blut wich aus ihrem Gesicht. Sie wirkte plötzlich um Jahre gealtert.
Notar Roxburghe hatte sich hinter einem Stapel von Büchern, Zeitungen und Dokumenten verschanzt. Auf dem Boden türmten sich die Papierberge bis auf die Höhe des Fenstersimses. »Immer mehr Papier«, flüsterte Roxburghe mit heiserer Stimme, »wie soll der Mensch diese Flut noch bewältigen? Immer mehr Zeitungen. Wer soll das alles lesen? Und all die Bücher ...«
Roxburghe war in den vergangenen zehn Jahren sehr gealtert. Der Kopf war kahl, die Wangen eingefallen, der ganze Mann nur noch Haut und Knochen. Und er hörte schlecht. Man musste schreien, wenn man sich mit ihm unterhalten wollte. Er hörte nicht mal die Winde, die seinen Gedärmen entwichen und einen fauligen Geruch verströmten. Roxburghe roch gar nichts mehr. Er saß hinter seinem Schreibtisch verschanzt und wollte leben. Jetzt händigte er John Law ein Dokument aus. John unterschrieb und reichte das Dokument an seine Mutter weiter. Sie unterschrieb und reichte das Dokument an Roxburghe zurück. Es folgten weitere Dokumente.
»Ein ganzes Leben hat Ihr Vater William Law gebraucht, um sich ein Anwesen wie Lauristor Castle leisten zu können«, stieß Roxburghe mit heiserer Stimme hervor, »und Sie haben Ihren Anteil in einer einzigen Nacht verloren. Am Spieltisch.«
»Ja, Sir. Ich habe gegen einen Berufsspieler verloren, der das Kartenspiel nach streng mathematischen Regeln betreibt. Er berechnet während des Spiels das Risiko, die Wahrscheinlichkeit des Unwahrscheinlichen ...«
Roxburghe winkte heftig ab. »Trottel«, schimpfte er. »Ich bin alt genug, um kein Blatt mehr vor den Mund nehmen zu müssen, und ich sage Ihnen, Sie sind ein Trottel. Und wenn Sie sich jetzt noch rechtfertigen und Ihre Torheit nicht einsehen wollen, haben Sie nicht einmal etwas daraus gelernt!«
John Law schwieg. Er hatte gespielt und getrunken. Und verloren. Es war nun mal so. Er blickte zu Antoine Arnauld, der die Gutschrift in Empfang nahm.
»Ab jetzt«, sagte Roxburghe und brach ab, um sich ausgiebig zu räuspern, »ab jetzt ist Ihre Mutter, Jean Law, die alleinige Besitzerin von Lauriston Castle. Sie partizipieren nicht mehr an den Einkünften. Sie dürfen den Namen >of Lauriston< weiterhin benutzen. Mehr aber auch nicht Mit dem einen Teil des Erlöses wurde Ihre Spielschuld gegenüber Mr Arnauld beglichen. Den Rest erhielten Sie von Ihrer Mutter in Form einer Gutschrift.« Roxburghe machte eine kurze Pause und musterte John Law nachdenklich. »Geld zu behalten ist wesentlich schwieriger, als es zu verdienen. Sie haben sehr viel Lehrgeld bezahlt und dafür keinen universitären Titel erhalten. Nur Spott und Hohn.«
Jean Law schaute bekümmert zu John, der regungslos dasaß und dem Notar zuhörte. Es schmerzte sie, dass ihr Sohn gescheitert war. Es schmerzte mehr als die Wut über das verlorene Geld.
Antoine Arnauld verbeugte sich knapp vor Madam Law: »Sehen Sie es so, Madam Law. Falls Ihr Sohn etwas aus seinen Fehlern lernt, so wird sich dies bezahlt machen. Es ist immer besser, sein Lehrgeld in jungen Jahren zu entrichten. Dann verliert man weniger, weil man weniger hat.«
Dann holte er aus seinem Umhang ein Buch. Er reichte es John, der es widerwillig entgegennahm. Es trug den Titel »Logik oder Die Kunst des Denkens«.
Antoine Arnauld lächelte: »Mir ist nicht entgangen, dass Sie über bemerkenswerte mathematische Fähigkeiten verfügen. Aber Sie nutzen Sie zu wenig, Mr Law. Es liegt an Ihnen, ob Sie aus dieser Niederlage einen Sieg machen.«
Als der Franzose das Arbeitszimmer des Notars verließ, bemerkte John Law erst, wer der Verfasser des Werkes war, das er in den Händen hielt. Es war Antoine Arnauld. John sank wie getroffen in sich zusammen.
»Vergessen Sie den Stock Ihres Vaters nicht, John Law. Er liegt immer noch in Paris.«
»Ich weiß«, entgegnete John kleinlaut, »der mit dem goldenen Griff ...«
»Es ist die Inschrift, John. Die Inschrift. Non obscura nec ima: Weder unbedeutend noch gering ... Holen Sie diesen Stock, John.«
John sah den Notar an und sah dann wieder auf das Buch. Sein Entschluss stand fest. Er würde noch am selben Tag abreisen. Nicht nach Paris, zu diesem vermaledeiten Spazierstock.
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