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Das Große Spiel

Das Große Spiel

Titel: Das Große Spiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claude Cueni
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viel Geld. Woher hat Edward Beau Wilson also sein Geld?«
    John, der nicht mehr länger Müdigkeit vorschützen konnte, öffnete ein Auge: »Spielt er Karten?«
    »Ja!«, entfuhr es Mary Astell. Sie war hocherfreut, dass ihr Gegenüber langsam in die Konversation einstieg. »Er spielt Karten, aber er verliert immer.«
    Jetzt schlug John auch das zweite Auge auf. Er war hellwach: »Ich spiele auch gern Karten. Ich wäre Ihnen zutiefst verbunden, wenn Sie mich mit Mr Edward Wilson bekannt machen könnten. Ich gewinne nämlich - meistens.«
    Mary Astell lachte laut auf: »Wollen Sie sich denn nicht vorstellen, Sir?«
    »Haben Sie das nicht schon getan, Madam?«, fragte John. »Gestatten: John Law of Lauriston.«
    »Beau Law«, lächelte Mary Astell, »Jessamy wäre auch passend, aber wieso sollte ich Sie mit Edward Beau Wilson bekannt machen? Wer sind Sie?«
    »Jessamy, sagten Sie nicht eben Jessamy?«
    Mary Astell schmunzelte und nahm amüsiert ihren Fächer hervor: »Jetzt bin ich aber gespannt, Jessamy ...«
    »Meine große Leidenschaft gilt - dem Kartenspiel. Und es ist keine Unbescheidenheit, wenn ich sage, dass ich der beste Kartenspieler von Edinburgh bin.«
    »Keine Unbescheidenheit?«
    »Nein, eine Tatsache. Aber nur, wenn ich nüchtern bin.« Mary Astell fächerte amüsiert ihre Botschaften zu John Law hinüber. Ihm schien, als spräche man in London auch in der Fächersprache mit anderem Akzent. Mittlerweile fand er ihre Angewohnheit, beim Sprechen die Lippen kaum zu bewegen, gar nicht mehr hochnäsig und lustfeindlich, sondern geradezu erotisch. Ja, John Law hatte seinen Katzenjammer von Edinburgh überwunden und war bereit zu neuen Taten.
    Etwa zur selben Zeit, als John Law sich London näherte, erreichte ein Reiter Lauriston Castle. Er erkundigte sich nach einem Mann namens John Law. Er sagte, er sei ihm noch etwas schuldig. Jean Law anerbot sich, die Schulden ihres Sohnes zu übernehmen. Doch der Fremde sagte, dass nicht John Law, sondern er, der Fremde, eine Schuld zu begleichen habe. Jean Law schien erstaunt darüber. Der Fremde sagte weiter, dass er diese Schuld nur in Anwesenheit von John Law begleichen könne. Als er hörte, dass John Law mit einer Kutsche nach London unterwegs war, gab er seinem Pferd die Sporen und ritt weiter.
    »Der Fremde hatte ein verstümmeltes linkes Ohr«, erzählte Jean Law später ihrem Sohn William, »und eine Narbe im Gesicht. Hat er dir jemals von einem Freund erzählt, der nur ein Ohr hat?«
    William hatte nur gelächelt.
     

Kapitel V
    LONDON, 1694
     
    Zuerst kam der Gestank. Ein Übelkeit erregender Morast aus Kot, Verwesung und Ruß. Die letzten Meilen vor London schaukelte die Kutsche durch endlose Pfützen. Ein einziger Schlammteich. Der Dreck wurde bis in die Kutsche hineingeschleudert. Alles Getier, das hier vegetierte, war gleichmäßig von einer schwarzen Rußschicht überzogen. Selbst die Vögel warer kaum wiederzuerkennen. Doch es war nicht der Gestank, der John überraschte. Es war der Lärm. Ein fortwährendes Tosen und Brausen, das dem Reisenden schon weit vor der Stadt entgegenschlug und mit jeder Meile lauter wurde, als wäre hinter den Stadtmauern von London ein Bürgerkrieg ausgebrochen.
    »Was ist denn da los?«, fragte John Law und löste sich von Mary Astells Lippen.
    »Das ist London, Jessamy. London«, antwortete Mary Astell und ordnete ihre Garderobe.
     
    Riesige Menschenmengen drängten sich quälend und schreiend durch die Gedärme der Stadt, verstopften alle Gassen und Straßen und schrien im Chor mit den Pferden, Rindern, Katzen, Hunden, Schweinen, Schafen und Hühnern, die überall waren und überall hinmussten. Die Kinder rebellierten mit Kreischen und Trommeln. Richtung Smithfield wurde eine riesige Herd« zu den offenen Märkten Londons getrieben. Dazwischen versuchten Dutzende, ja hunderte von Kutschen und Karren in die verstopfte Stadt einzudringen. Das plätschernde Geräusch von über fünfzehn Kanälen schwappte wie eine Welle durch die flussnahen Gassen. Die hölzernen und vergipsten Häuser entlang der Verkehrsachsen wirkten wie Schalltrichter, die diesen orkanartigen Lärm wie Kanonenkugeln durch die Straßen Londons jagten, in denen jeder irgendetwas anpries: grüne Bohnen, eine halbe Sau, Zaubertränke, Amulette, Fische, den nahenden Weltuntergang, Gin, ein lahmes Pferd, Sex, eine Flussfahrt, eine Übernachtung. Alles schienen sich die Bewohner Londons von der Seele zu schreien, und manch einer schien dabei längst den

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