Das Große Spiel
Neale eine Bewilligung.« Moivre musterte John Law erneut, dann fragte er unvermittelt: »Sie würfeln mit zwei Würfeln siebenundsiebzig Mal, welche Gesamtzahl wird am häufigsten gewürfelt, was ist ihre Wahrscheinlichkeit und wie hoch liegt die relative Wahrscheinlichkeit?«
»Die Gesamtzahl Sieben wird am häufigsten gewürfelt, die Wahrscheinlichkeit liegt bei sechs Sechsunddreißigstel und die relative Wahrscheinlichkeit bei 1,17«, antwortete Law geduldig.
»Sie sind Spieler, Berufsspieler«, konstatierte Moivre enttäuscht und machte keine Anstalten, seine Verachtung zu verbergen.
»Nein, Sir, ich beschäftige mich mit wirtschaftstheoretischen Systemen, die dazu beitragen könnten, die maroden Staatsfinanzen zu sanieren und dem Land zu einer neuen wirtschaftlichen Blüte zu verhelfen.«
Moivre schob seine Papiere in die Tischmitte. Jetzt schien ihn John Law zu interessieren.
»Der Krieg hat alles weggefressen. Die Könige in Europa sollen mit ihren Kriegen aufhören. Krieg schafft keinen Mehrwert. Krieg frisst unser Geld weg. Wir haben keine Metalle mehr, um Münzen zu gießen. Es ist immer weniger Geld in Umlauf, und wir brauchen gleichzeitig immer mehr, weil die Waren teurer werden. Und was ist nun Ihre Überlegung dazu, Sir?«
»Die Gründung einer Bodenbank.«
Jetzt war es an Moivre, bis über beide Ohren zu grinsen: »Sie sind Schotte?« John Law nickte: »John Law of Lauriston.«
»Mein Name ist Moivre«, antwortete der Franzose, »ihr Landsmann William Paterson ist gerade dabei, eine englische Bank zu gründen. Aber Sie, Sie wollen eine Bodenbank gründen?«
»Ja«, sagte Law, »Sie haben ein Grundstück. Dieses Grundstück hat einen Wert. Für diesen Wert erhalten Sie von der Bodenbank ein Dokument, das diesen Wert bestätigt. Dieses Dokument ist Geld aus Papier. Papiergeld. Mit diesem Papiergeld können sie Waren und Dienstleistungen beziehen.«
»Und die Bodenbank ist vorübergehend Besitzerin des Grundstückes.«
»Ganz recht. Sie hat stets einen reellen Gegenwert. Die Münze ist so viel wert wie das Metall, das in ihr steckt, und das Papiergeld wäre so viel wert, wie das Grundstück, das dafür hinterlegt worden ist. Damit verwandeln Sie über Nacht den gesamten Boden Englands in liquides Bargeld.«
»Wissen Sie, wie viele Grundstücke durch den Krieg schon ruiniert worden sind?«
»Sie haben mich gefragt, mit welchen Fragen ich mich beschäftige.«
Moivre nickte nachdenklich: »William III. braucht frisches Geld. Aber niemand will dem König etwas leihen, denn seine Vorgänger haben ihre Kredite bis heute nicht zurückbezahlt. Das Problem, Mr Law, ist das Vertrauen. Wenn Gott hinter Ihrer Bodenbank stehen würde, könnte es vielleicht funktionieren. Vielleicht. Aber ich sage Ihnen ganz ehrlich, ich vertraue nicht mal Gott. Die Wahrscheinlichkeit, dass es ihn gibt, beträgt weniger als ein Prozent. Aber das erzähle ich Ihnen ein andermal. Heute habe ich noch zu tun.«
Moivre nahm seine Feder wieder in die Hand und strich sich mit dem oberen Ende nervös über die Lippen.
»Wissen Sie, Mr Law, es gibt in London zehntausende von originellen Ideen, Modellen und Theorien. Aber nur die wenigsten werden die nächsten Monate überleben. Und es wird wieder neue Ideen, Modelle und Theorien geben, und in hundert Jahren werden vielleicht eine Hand voll überlebt haben. Weil sie sich bewährt haben. Sir, für Ihr Modell brauchen Sie nicht nur ein Stück Papier und eine mathematische Kurve, nein, für Ihr Modell brauchen Sie ein ganzes Volk und einen König, der Ihnen gestattet, an seinem Volk ein Experiment durchzuführen. Und wenn es Ihnen gelingt, das schnelle Geld zu erfinden, werden Sie eines Tages der reichste Mann der Welt sein.« Moivre grinste: »Man müsste dafür ein neues Wort erfinden, Millionär.«
Das Gespräch mit Monsieur Moivre hatte John Law nachdenklich gemacht, und so verbrachte er die folgenden Tage lesend und grübelnd in seinem Haus in St. Giles. Mag sein, dass er die Dinge zu einfach gesehen hatte. Er brauchte dringend Zugang zu besseren Kreisen, die ihm erlaubten, seine Theorien an höchster Stelle vorzubringen. Doch seine eigenen Geldmittel, über die er noch verfügte, wurden bereits knapp. Er brauchte also dringend eine neue Einnahmequelle. Oder eine zahlende Mätresse. Mindestens eine.
Der Salon von Lord Branbury wurde rasch zu John Laws Lieblingssalon. Lord Branbury war ein liebenswerter, stiller Mann, der es einfach genoss, Gäste zu haben. Er hielt sich
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