Das Große Spiel
Paris wohne und sich einer Gruppe von Menschen angeschlossen habe, die James II., dem früheren katholischen König von England, nahe standen. Andere Quellen behaupteten, ihr Mann sei ein Verräter und Spion und plane im französischen Exil den Sturz von William. Auch in der Politik gab es zahlreiche Theorien. Und wo es an Wissen mangelte, gediehen die Gerüchte.
Lady Knollys war eine Frau, die durch ihre Stille auffiel. Selbst wenn sie fernab der Spieltische im Halbdunkel stand, spürte John Law ihre Blicke, ihre Nähe. Sie schien ihm auf Anhieb vertraut. Manchmal, wenn er die Karten verteilte und plauderte, wie es die Gäste von ihm erwarteten, spürte er die Wärme ihres Blicks. Und wenn er dann langsam den Kopf hob unc die junge Frau im Halbdunkel suchte, glaubte er sie sprechen zu hören. Ihre bloße Anwesenheit machte ihn glücklich.
Einer der auffälligsten Gäste im Salon von Lord Branbury war ein kleiner, untersetzter, pockennarbiger Mann, der mit seiner nervösen, quirligen Art alle Blicke auf sich zog. Er war ohne Zweifel ein besessener Spieler. Dabei war ihm das Glück alles andere als hold. Er verlor und verlor und konnte doch kein Ende finden. Wenn er keine Jetons mehr hatte, reichte ihm ein Diener einen Schuldschein, den er flüchtig unterschrieb, um gleich darauf weiterzuspielen. Sein Name war Neale, Thomas Neale, der Münzmeister des Königs, der seit Jahren versuchte, in London eine Lotterie auf die Beine zu stellen. Thomas Neale war aber nicht nur der Münzmeister des Königs, sondern auch Kammerdiener. Er war ein königlicher Beamter. Ihm war es auferlegt, Lizenzen für das Glücksspiel in den Salons zu erteilen. Zu seinen Pflichten gehörte auch die Überprüfung von Würfeln und Karten. Er hatte Streitigkeiten in den Salons zu schlichten. Ohne seine erfolgreichen Immobilienspekulationen, die er nur als Protege des Königs durchführen konnte, wäre Thomas Neale längst verlumpt und würde heute in einer maroden Holzbaracke im Hafen von London dahinvegetieren.
Thomas Neale warf mit den Jetons nur so um sich, als seien sie die nutzlosesten Gegenstände der Welt. Sein Gesicht glich einer Enzyklopädie der menschlichen Ausdrucksformen. Mal drückte er die Lippen derart zusammen, dass es einen tierischen Ausdruck annahm, dann gluckste er plötzlich aus Versehen und fuhr vor Schreck in sich zusammen, weil er sich schämte, und im selben Augenblick riss er die Augen auf, öffnete leicht den Mund und starrte ungläubig auf die Karte, die John Law soeben gezogen hatte. Thomas Neale hatte auf die falsche gesetzt. John Law hatte schon viele Spieler erlebt, aber noch keinen derart besessenen wie Thomas Neale. Kein Gesetz der Welt hätte den Münzmeister des Königs davon abhalten können, zu spielen.
Der Gentleman an John Laws Tisch rückte die goldgelbe Allongeperücke zurecht, zupfte an seinem blauen Seidenschal, nahm das nächste Manuskriptblatt zur Hand, räusperte sich und erhob die Stimme:
»Denn alles Glück oder Unglück des Menschenlebens liegt darin begründet, ob du anwesend bist oder nicht. Was tun die Menschen nicht, um dich zu erlangen? Was für Gefahren nehmen sie nicht in Kauf, was für Schurkereien begehen sie nicht um deinetwillen! Für dich werden Könige zu Tyrannen, Untertanen unterdrückt, Völker zerstört, Väter gemordet, Kinder verstoßen, Freunde verraten. Für dich lässt sich die Jungfrau entehren, verkommt der Ehrenmann, wird der Weise zum Narren, der Aufrechte zum Schurken, der Freund zum Verräter, der Bruder zum Fremden. Aus Christen werden Heiden, aus Menschen Teufeln. Du bist das große Ruder, das den Kurs der Welt bestimmt, die große Achse, um die sich der Erdball dreht.«
John Law saß mit Mary Astell an einem der Tische im Londoner Presseclub und lauschte den Worten dieses entrückten Exoten, der sich unter dem Gejohle der Anwesenden zu immer neuen Tiraden hinreißen ließ.
»Worüber spricht dieser Mensch eigentlich?«, fragte John.
»Über Geld, Sir. Er spricht immer über Geld; über das Geld, das er hat; über das Geld, das er hatte; über das Geld, das er nicht hat, und über das Geld, das er haben möchte und nie haben wird. Das ist Daniel Foe. Neuerdings nennt er sich de Foe - künstlerische Freiheit -, und als Autor will er sich jetzt Daniel Defoe nennen. Er meint, sein Name müsse eine Marke werden, wie >Bushmills<, der Irish Whiskey, in dem er seinen Verstand ersäuft hat.«
»Er ist Schriftsteller?«, fragte John Law.
»Er hat ein Handelsschiff
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