Das Große Spiel
gekauft, das er >Desire< getauft hat. Leider ist die >Desire< bereits eine Woche nach dem Auslaufen gesunken. Obwohl verschuldet, hat er daraufhin die erste Schiffsversicherung von London gegründet. Dummerweise hat er ausgerechnet die englische Flotte versichert, die wenige Wochen später im Krieg gegen Frankreich vernichtet wurde. Dann hat er mit der Stadt einen Pachtvertrag über das Sumpfgebiet an der Themse bei Tilbury abgeschlossen, weil er annahm, dass dort eines Tages die Stadtverwaltung eine neue Befestigung errichten würde. Doch er hat sechs Prozent für den Kredit bezahlt und nur fünf Prozent Pachtzins erhalten.«
»Sie meinen, Mathematik ist nicht seine Stärke, also muss er ein echter Schriftsteller sein?«
Mary Astell lachte und zeigte dabei ihre schönen Zähne. John betrachtete sie ganz hingerissen und dachte an das, was sich vor wenigen Wochen in der Kutsche nach London ereignet hatte.
»Ja, er ist ein Schriftsteller, der als Unternehmer reich werden wollte und dabei gescheitert ist. Jetzt macht er aus seinem Scheitern eine Ideologie und geißelt Gesellschaft und Staat. Er kommt gut an bei den Leuten.«
Plötzlich erhob sich tumultartiges Geschrei. Soldaten stürmten den Saal. Die meisten Anwesenden sprangen auf und versuchten zu entfliehen. Aber die Soldaten hatten nur ein Ziel: den Mann, der sich Defoe nannte. Sie ergriffen den Schriftsteller und sprachen eindringlich auf ihn ein. John Law konnte jedoch wegen des allgemeinen Lärmpegels die Worte nicht verstehen.
Mary Astell beugte sich zu John Law: »Offenbar hat das Königshaus sein Gnadengesuch abgelehnt.«
Defoe wurde aus dem Saal gezerrt. Mary Astell erhob sich und forderte John Law auf, ihr zu folgen: »Manchmal bietet das Theater in London Nachmittagsvorstellungen. Sie dürfen mich begleiten.«
Gemeinsam verließen sie das Gebäude und folgten der aufgebrachten Menschenmenge, die Defoe und den Soldaten durch die Gassen folgte.
»Was wirft man ihm vor?«, fragte John Law.
Mary Astell lachte amüsiert: »Es sind nicht die Schulden. Schulden hat Mr Defoe immer. Egal was er unternimmt, es endet im finanziellen Desaster. Jetzt versucht er sich als Verfasser von anonymen Pamphleten und predigt die brutale Unterdrückung des politischen Gegners, der Partei der Dissenter. Deshalb wurde er von den Torys angeklagt. Was der Sache ihre Brisanz verleiht, ist die Tatsache, dass Wendehals Daniel Defoe selbst ein Dissenter ist. Er predigt anonym die Unterdrückung seiner eigenen Partei, um die Schuld der anderen Partei in die Schuhe zu schieben. Das ist Daniel Defoe, wie er leibt und lebt.«
Als sie den großen Platz hinter dem Presseclub erreicht hatten, schafften die Soldaten Daniel Defoe auf das Podest hinauf, wo der Henker von London bereits mit dem Pranger wartete. Mit geübtem Griff packte er Defoe am Nacken und drückte ihn gegen den Querbalken, direkt in die runde Aussparung, die für den Hals vorgesehen war. Zwei Soldaten ergriffen je eine Hand des Schriftstellers und drückten diese an die äußere Enden des Balkens. Zu guter Letzt wurde die andere Hälfte der Apparatur in Defoes Nacken gedrückt und festgeschraubt. Daniel Defoe brüllte. Er schrie. Er bettelte. Er winselte. Dann stieß er plötzlich wieder wüste Beschimpfungen aus. Mittlerweile hatte sich eine große Menschenmenge auf dem Platz versammelt. Alle standen um die Holzbühne herum, auf der der Pranger montiert war. Es war ein Stehpranger. Das heißt, der Delinquent kniete nicht wie in anderen Städten üblich. So konnte ihn jeder sehen. Schließlich war London eine Stadt mit über siebenhunderttausend Einwohnern.
Und das Volk von London hatte seinen Spaß. Zuerst traf ein fauliger Kohlkopf den Schriftsteller mitten ins Gesicht. Die Menge johlte, während der Henker, den Buchstaben des Gesetzes folgend, das anonyme Pamphlet von Daniel Defoe öffentlich verbrannte. Der schloss die Augen. Diese öffentliche Demütigung, nicht unweit seines Hauses, das kürzlich zwangsversteigert worden war, brach ihm das Herz. Kaum war das Pamphlet abgefackelt, verließen der Henker und die Soldaten den Pranger und bahnten sich eine Gasse durch die grölende Menschenmenge. Jetzt kannten die Leute kein Halten mehr. Alles, was nicht niet- und nagelfest war, wurde dem bankrotten Verfasser des niederträchtigen Pamphlets an den Kopf geworfen: Küchenabfälle, Erdklumpen, tote Mäuse und Ratten, einige packten Kot in Lumpen und warfen ihn dem selbst ernannten Poeten ins Gesicht. Vergeblich
Weitere Kostenlose Bücher