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Das Große Spiel

Das Große Spiel

Titel: Das Große Spiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claude Cueni
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und dessen Halsschlagader fühlte. Captain Wightman stand wie angewurzelt neben seinem toten Herrn. Ohne den Schotten aus den Augen zu lassen, sagte Wightman: »Konstabler, der Tote ist kein Geringerer als der berühmte Edward Wilson. Der König wird sehr erzürnt sein.«
    Der Konstabler stand auf und wandte sich Law zu.
    John kam seinen Fragen zuvor: »Monsieur Wilson hat mich angegriffen. Ich habe mich lediglich verteidigt. Zeugen haben wir hier genug.«
    »Und wer sind Sie?«, fragte der Konstabler.
    »Law, John Law of Lauriston.«
    »Auf Duelle steht die Todesstrafe, Sir.«
    »Es war kein Duell. Ich bin angegriffen worden und habe mich verteidigt«, wiederholte Law, »dafür gibt es Zeugen.«
    Der Ordnungshüter wandte sich um und gab seinen Gehilfen, die im Hintergrund warteten, ein Zeichen. »John Law, im Namen der englischen Krone verhafte ich Sie wegen unerlaubten Duellierens.«
    John Law schaute zu Daniel Defoe hinüber, der die Kutsche bestiegen hatte. Er wollte seinem Sekundanten noch etwas sagen, aber die Kutsche fuhr bereits los.
     
    Newgate war der Vorhof zur Hölle. Newgate war der Inbegriff des Leidens. In Newgate war der Tod Gnade und Erlösung zugleich. Wer die Schwelle zu Newgate überschritt, ließ alles, was ihn mit der Welt verband, zurück. In den unterirdischen Verliesen verschmachteten hunderte von Gefangenen in Dunkelheit und Fäulnis. Einige Häftlinge lagen angekettet auf dem nackten Steinboden. Andere waren in den Stock gespannt oder in Folterpressen fixiert. Mitten durch das Gefängnis führte ein offener, übel riechender Abwasserkanal - als wollten die freien Bürger die Insassen mit ihren vorbeischwimmenden Exkrementen noch zusätzlich verhöhnen. Der Gestank von Newgate war meilenweit zu riechen. Man roch den Schmutz, den Kot, die Fäulnis. Man hörte das Wehklagen, Stöhnen, Fluchen, Weinen und die verängstigten Laute, die man keiner menschlichen Sprache mehr zuordnen konnte. Die meisten Gefangenen lagen wie Pesttote nebeneinander. Die einen verurteilt, die anderen nicht. Die meisten waren mit Typhus infiziert. Ratten und Läuse setzten ihnen zu. Mit stierem Blick lagen sie da, mit langen, verfilzten Barten, leblos wie das Gestein, das sie umgab.
    Und einer von ihnen war John Law of Lauriston. Die Nachricht verbreitete sich wie ein Lauffeuer in der ganzen Stadt. Als sie die Nachricht hörte, fuhr Catherine Knollys unverzüglich mit ihrem Bruder Lord Branbury nach Newgate. Newgate war bereits seit dem zwölften Jahrhundert das berüchtigste Gefängnis Londons. Nach dem Großen Brand war es erneut aufgebaut worden. Jetzt thronte es mit fünf imposanten Stockwerken wie ein Wahrzeichen in den Himmel und überspannte die Newgate Street zwischen der Giltspur Street und dem Snow Hill. Und irgendwo in diesem verfluchten Koloss saß John Law, angekettet inmitten von Dieben, Mördern, Falschmünzern und verkommenen Strolchen.
    John Law war immer noch irritiert, ratlos, er verstand nicht, was da vor sich ging. Er wusste nicht, ob in dieser ganzen Angelegenheit noch irgendjemand die Fäden in der Hand hielt. Er saß auf einer Steinplatte, eingezwängt zwischen wimmernden Gestalten, die nach Zahnfäulnis, verdorbenen Mägen und Kot stanken, und überlegte fieberhaft, ob er in eine Falle getappt war.
    »Du wirst dich daran gewöhnen«, murmelte jemand in der Dunkelheit. »Selbst an die Hölle gewöhnt sich der Mensch. Mit der Zeit wirst du sehen, es gibt bessere und schlechtere Tage. Genau wie draußen. Das war klug vom lieben Gott, dass er den Menschen so gemacht hat. Du denkst immer: Jetzt ist das Maß voll. Mehr kann ein Mensch nicht ertragen. Und doch erträgst du noch ein klein bisschen mehr. Und noch ein bisschen mehr. Und gewöhnst dich daran.«
    Als der Wächter am nächsten Morgen das schwere Schloss des Verlieses öffnete, war John Law soeben zum ersten Mal eingeschlafen. Die ganze Nacht hindurch hatte er die immer gleichen Gedanken gewälzt, gegen die Angst gekämpft, die ihm wie eine Eisenkralle Magen und Luftröhre zusammenpresste. Und die Gedanken hatten sich immer wieder im Kreis gedreht. Was war genau passiert? Hatte ihn Betty Villiers, die Mätresse des Königs, in eine Falle gelockt? Hatte sie ihn missbraucht, um Wilson loszuwerden? Weil er ihr lästig geworden war? Oder hatte der Hof Angst, dass Wilson den König kompromittieren könnte? Oder hatte Betty Villiers möglicherweise eine Affäre mit Wilson gehabt und verhindern wollen, dass der König davon erfuhr? Hatte sie

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