Das Große Spiel
statt?«
Die Auktion fand in der Villa des verschuldeten Adligen Rangone statt. Sie war nicht öffentlich, sondern nur einer handverlesenen Kundschaft vorbehalten. Trotzdem war der Saal zum Bersten voll. Gekommen waren vor allem Kaufleute aus Turin, Florenz, Genua. Neureiche ohne Stammbaum, wie der verarmte Landadel spottete. Doch mochte der Adel auch spotten: Die Neureichen waren lieber neureich als nie reich, und sie waren durch Leistung reich geworden und nicht durch Geburt und Erbschaften. Noch gebührte dem Adel der Respekt, aber die Zukunft gehörte den erfolgreichen Kaufleuten. Das zeigte auch die heutige Auktion: Die Kaufleute ersteigerten, der Landadel ließ versteigern. Die Kaufleute waren hungrig nach neuem Wissen, nach Wissen, das einen praktischen Nutzen hatte. Und die Maler des siebzehnten Jahrhunderts hatten bereits vorweggenommen, was die Gesellschaft zu Beginn des achtzehnten Jahrhunderts prägen würde. Die Abkehr vom künstlichen Manierismus hin zur genauen Reflexion, zur wirklichkeitsgetreuen Wiedergabe, der Wunsch nach Genauigkeit, Realismus, Authentizität.
Die Versteigerung begann mit einem Werk von Veronese, einem 1588 im Alter von sechzig Jahren verstorbenen Maler, dessen Gemälde bereits im ehemaligen Pariser Königsschloss, dem Louvre, hingen. Doch John Laws Aufmerksamkeit galt weder dem Veronese noch den geheimnisvollen Damen, die beim Anblick von John Law nervös mit ihrem Fächer zirpten. Seine Aufmerksamkeit galt einem Mann, der ihn zu beobachten schien. John Law war es mittlerweile gewohnt, dass man sich nach ihm umdrehte, diskret mit dem Finger auf ihn zeigte oder ihn auch still betrachtete. Doch der Unbekannte mit der feuerroten Perücke erinnerte ihn an jemanden, und er wusste nicht, an wen.
John hatte sich gerade wieder auf die Auktion konzentriert, als er sich plötzlich doch noch erinnerte. »Es wird nie vorbei sein«, murmelte John wie im Schlaf.
Der Due di Savoia, der neben John Law im Auktionssaal saß, schaute den Schotten verwundert an. John Law bemerkte es und lächelte gequält.
»Ich dachte, Sie wollten mir eben etwas sagen«, flüsterte der Due di Savoia.
»Mir fiel nur gerade etwas ein«, flüsterte John Law zurück und schaute sich noch einmal zu dem Fremden mit der roten Perücke um. Ein Mann sollte wissen, wann er besiegt ist. Das waren seine Worte gewesen. Und jetzt erinnerte er sich an die Antwort, die George Lockhart of Carnwath ihm gegeben hatte: Würdest du es wissen, John?
Jetzt war John Law hellwach, als hätte man ihn elektrisiert, wie die kleine Feldmaus im Salon des Due d'Orleans. Er neigte sich zu seinem Begleiter: »Was ich Sie schon lange fragen wollte: Sind in der Zwischenzeit meine Einreisepapiere für Frankreich eingetroffen?«
»Heute Morgen, Signor Law. Aber ich hoffe, Sie werden uns nicht gleich verlassen.«
Die Kutsche preschte durch die Nacht. Vier Pferde zogen den gemieteten Postwagen und brachten den einzigen Passagier mit jeder Minute dem Alpenpass näher. Alle fünfzehn Meilen wurden an den offiziellen Poststationen die Pferde gewechselt. Doch John Law hatte darauf bestanden, dass die Kutsche keinen Halt einlegte und vierundzwanzig Stunden am Tag fahren sollte. Über den Großen Sankt Bernhard und nicht über den Mont Cenis. Denn auf dem Großen Sankt Bernhard gab es seit einigen Jahren eine Poststation. Man erzählte sich allerlei Geschichten über diesen Pass. Hannibal soll ihn damals mit seinen Elefanten bezwungen haben, um in Italien einzufallen. Zahlreiche Päpste sollen ihn überquert haben. Angeblich gab es dort oben assyrische Kampfhunde, groß wie Monstren, die Verschüttete auffinden und bergen konnten. Aber mit der Postkutsche konnte man die Passhöhe nicht erreichen. Die Post wurde vor dem Aufstieg auf Stationspferde verteilt.
John Law erhielt einen ausgeruhten Rappen. Zwei Postreiter erboten sich, ihn am nächsten Tag zu begleiten. Nach einer kurzen Übernachtung auf der Post- und Pferdewechselstation in Aosta begann in den frühen Morgenstunden der Aufstieg zum Pass. Die römischen Saumpfade waren an einzelnen Stellen so steil und schlecht, dass die Reiter absteigen und zu Fuß gehen mussten. Ein unfreundlich kalter Wind blies ihnen ins Gesicht. Es wurde zunehmend stürmisch und eisig. Dichter Nebel machte sich breit, als wolle er die Reisenden verschlingen und von ihrem Ziel abbringen. Dann lichtete sich der Nebel für kurze Zeit und gab den Blick frei auf märchenhaft zerklüftete Felslandschaften, die von
Weitere Kostenlose Bücher