Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Große Spiel

Das Große Spiel

Titel: Das Große Spiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claude Cueni
Vom Netzwerk:
hielt er inne. Dann schaute er John Law ernst in die Augen: »Was führt Sie über den Pass, John Law?«
    »Geschäfte, Bruder Antonius. Ich beschäftige mich mit Theorien des Geldes, des Handels ...«
    Pater Antonius schmunzelte: »Ein Alchemist auf der Suche nach der wundersamen Vermehrung des Geldes?«
    »Der Alchemist versucht, Metalle herzustellen, Gold aus Wasser und Krötenkot«, lachte John Law, »ich versuche, eine Lösung zu finden für die Knappheit der Münzen in Europa.«
    »Wieso suchen Sie nicht nach einer Lösung für den Mangel an Brot und Käse? Wieso versuchen Sie nicht, das vorhandene Brot auf wundersame Art und Weise zu vermehren?«
    »Wenn mehr Geld im Umlauf ist, Bruder Antonius, nimmt der Handel zu, steigt die Nachfrage nach Gütern und Leistungen. Steigt die Nachfrage nach Gütern, steigt die Nachfrage nach Arbeitern, die diese Güter herstellen. Und wenn mehr Menschen arbeiten, können mehr Menschen wiederum Güter kaufen. Das wiederum steigert erneut die Nachfrage nach mehr Gütern.«
    Bruder Antonius dachte nach. Dann sagte er: »Was Sie vorhaben, John Law, grenzt an ein Wunder. Jesus hat in der Wüste das Brot vermehrt, Sie aber wollen ganz Europa Brot geben.«
    Draußen begannen plötzlich Hunde zu bellen. Ein Pferd näherte sich dem Hospiz.
    »Ein später Gast?«, fragte John Law.
    »Ja, wahrscheinlich. Wir freuen uns über jeden Wanderer, der unser Hospiz aufsucht. In wenigen Wochen wird der erste Schnee fallen, dann wird es ruhig werden im Hospiz. Die Schneemassen werden sich bis zu zwanzig Meter in die Höhe türmen, dann sind wir allein mit Gott und unseren Hunden.«
    Der Mönch betrat den Speisesaal und blieb beim Herd stehen. John Law und Bruder Antonius sahen zur Tür. Der alte Hund neben der offenen Kochstelle öffnete ein Auge.
    Ein Fremder trat ein. Er trug einen schwarzen Kapuzenmantel. Darunter zeichnete sich die Klinge eines Degens ab. Der Fremde nickte und schritt langsam über die knarrenden Holzbohlen in den hinteren, abgedunkelten Teil des Saals. Er setzte sich an das Tischende mit dem Rücken zum Ofen. Jetzt kamen auch die beiden Hunde des Mönchs herein. Sie ließen ein leises, tiefes Knurren hören. Bruder Antonius nahm einen Laib Brot und einen Krug Wein und ging damit zu dem neuen Gast.
    »Willkommen im Hospiz, Wanderer.« Der Fremde nickte. Er hatte den Kopf tief über den Tisch gebeugt. John Law konnte sein Gesicht nicht sehen. Die hochgezogene Kapuze verdeckte es vollständig.
    Nachdem Bruder Antonius ihm ein Brett mit Käse gebracht hatte, wandte er sich John Law zu: »Ich werde Ihnen nun Ihr Nachtlager zeigen.«
    Bruder Antonius nahm eine Öllampe vom Tisch und leuchtete John Law den Weg zum Schlafsaal. Sechs einfache Betten waren hier nebeneinander aufgereiht. Die mittleren Betten waren bereits von den beiden Postreitern belegt. Der eine schnarchte und röchelte wie ein lungenkranker Drache. Der Raum stank nach Schweiß, Wein, ranzigem Fett. John Law nahm das Bett gleich neben der Tür. Bruder Antonius wünschte ihm eine gute Nacht und teilte ihm mit, dass die Ordensbrüder um fünf Uhr morgens frühstückten.
    In dieser Nacht fand John Law wenig Schlaf. Er dachte an Catherine, die Lotterie in Venedig, den ihm feindlich gesinnten Marquis d'Argenson in Paris. Er dachte über neue Finanzkonstrukte nach, überprüfte sie rechnerisch im Kopf und war dankbar, dass er mit einem derartigen mathematischen Gedächtnis ausgerüstet war, dass ihm selbst in einer übel riechenden und saukalten Kammer hoch oben auf dem Großen Sankt Bernhard alles zur Verfügung stand, was er für seine Arbeit brauchte. Er benötigte weder Papier noch Griffel. Er hatte in all den Jahren gelernt, alles, was er brauchte, verlässlich in Gedanken abzulegen und jederzeit wieder abrufen zu können.
    Spät nach Mitternacht wurde der Fremde in dem schwarzen Mantel in den Schlafsaal geführt. Er ging zu dem Bett am Ende der Reihe beim Fenster. Doch er legte sich nicht hin. Er setzte sich auf die Bettkante und starrte in die Nacht hinaus.
    Als John Law in den frühen Morgenstunden erwachte, war der Schlafsaal bereits leer. John überprüfte, ob die Depotscheine, die ihm die Bank übergeben hatte, noch da waren. Sie fanden sich dort, wo er sie versteckt hatte: in Leder eingewickelt unter dem Hemd.
    John kleidete sich an und ging in den Speisesaal. Auch hier war niemand. Nur der alte Hund. Doch er war zu träge, um auch nur ein einziges Auge zu öffnen.
    Im Hof hörte John Geräusche. Ein Hämmern.

Weitere Kostenlose Bücher