Das Große Spiel
saftigen Moosteppichen überzogen waren. Dann kreuzten sich für einen kurzen Moment die Blicke der beiden wortkargen Begleiter, als wollten sie sagen: Schaut her, das ist unser Berg. Er hat uns so gemacht, wie wir sind.
Rechtzeitig vor Einbruch der Nacht erreichten sie den Möns Jovis, den Berg des Jupiter, wo sich die Überreste eines römischen Tempels befanden. Etwas weiter unterhalb sah man die Ruine einer mansio, die schon den Römern als Poststation und Herberge gedient hatte.
Ein wuchtiger Hornstoß erschütterte die Stille. In der Ferne begannen Hunde zu bellen. Rechts des Saumpfades ruhte ein Bergsee, zur linken Seite erhob sich das steinerne Hospizgebäude. Vor dem Eingang blieben sie stehen.
Ein Mönch trat in die Kälte hinaus und schwenkte eine Öllaterne. Hinter ihm drängten zwei Tiere nach draußen. Auf den ersten Blick mochte man die beiden Viecher für junge Kälber halten. Aber es waren Hunde, große, muskulöse, weiße Hunde mit rötlichen Platten, imposantem, kräftigem Kopf, gut hundert Kilo schwer, mit stark entwickelten, hängenden Lefzen und tief liegenden, dunkelbraunen Augen. Obwohl sie eine ungeheure Stärke und Dominanz zeigten, schien ihr Wesen doch eher freundlich und sanftmütig zu sein.
Steif stieg John Law von seinem Pferd herunter. Er reichte dem schweigenden Mönch die Zügel. In diesem Augenblick trat ein Augustinerchorherr in brauner Kutte ins Freie. Er war alt, kahl geschoren, mit kurz geschnittenem Bockbart. Doch obwohl er bereits sechzig Jahre auf dem Buckel haben mochte, machte er einen überaus quirligen Eindruck.
»Salve, Dominus vobiscum«, begrüßte er die Reisenden und strahlte übers ganze Gesicht.
»Seid gegrüßt. Mein Name ist John Law«, entgegnete der Schotte freundlich und reichte dem Mönch die Hand.
»Schotte«, lächelte der Mönch und verneigte sich kurz, »seien Sie willkommen im Hospiz Sankt Bernhard, John Law. Ich bin Bruder Antonius. Sie finden hier Verpflegung, Brot, Käse, Wein und ein Bett zum Schlafen. Nach dem gemeinsamen Mahl werde ich Sie in unsere Krypta führen, damit Sie Gott danken können, dass Sie die Passhöhe gesund erreicht haben.«
Ein langer Holztisch mit einfachen Bänken stand in der Mitte des Speisesaals. Vorn befand sich eine offene Feuerstelle mit einem mächtigen Rauchabzug. Daneben döste ein alter Bernhardinerhund mit gräulicher Schnauze auf einem Kuhfell. Ab und zu öffnete er träge ein Auge, um das Geschehen im Saal zu überwachen. Dann stieß er einen Seufzer aus und döste weiter. Der hintere Teil des Saals lag im Dunkeln. Man erkannte einen Kachelofen mit Sitzbänken neben einem kleinen Fenster. Davor stand eine große Holzskulptur, die einen lebensgroßen Ordensbruder mit Hund darstellte. An den Wänden hingen Bilder. Wanderer hatten sie angefertigt. Darunter waren auch Dankesschriften.
Die beiden Männer, die John Law begleitet hatten, aßen nicht viel, eine dicke Brotscheibe, ein wenig Hartkäse, dazu einen Becher Rotwein. Sie zogen sich schon bald zurück. Ihre Arbeit war hart. Sie brauchten den Schlaf. Sie verneigten sich und brummten ein paar unverständliche Worte. Zurück blieben John Law und Bruder Antonius.
»Ich danke Ihnen, Bruder Antonius, für Ihre Gastfreundschaft«, lächelte Law freundlich.
»Danken Sie Gott, John Law. Er hat mich dazu berufen, hier oben auf diesem Pass sein Wort zu verkünden und nach seinen Geboten zu leben. Und jeder, der den Pass erreicht, fragt sich, wie es möglich war, dass Menschen hier oben ein Hospiz bauen konnten. Und das bereits vor sechshundert Jahren. Er hat es gegründet.« Er zeigte mit der Hand auf die lebensgroße geschnitzte Figur, die einen Mönch mit Hund darstellte. »Der heilige Bernhard, anno 1045.«
John Law sah sie skeptisch an. »Die Statue muss allerdings neueren Datums sein«, entgegnete John Law höflich.
Antonius lachte heiter. Die Aufmerksamkeit seines Gastes schien ihm zu gefallen. »Richtig, John Law, die Hunde haben wir erst seit vierzig Jahren. Im letzten Jahr hatten wir Pilger aus Russland, auf dem Weg nach Rom. Sie erkundigten sich gleich nach den Hunden. Aber ich sagte ihnen: Erkundigt euch nach Gott. Wer den Pass erklimmt, sucht Gottes Wort. Wer den Pass erreicht, ist bereit, Gott gegenüberzutreten, damit er Antworten finde für seine Fragen, für seine Zweifel, für seine Sorgen. Wir begegnen vielen Schicksalen auf diesem Berg, Schicksalen von armen Menschen, von reichen Menschen, von gehetzten Menschen.« Für einen Augenblick
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