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Das Große Spiel

Das Große Spiel

Titel: Das Große Spiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claude Cueni
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leicht abfallenden Weg zurück, der vom Hospiz Richtung Aosta führte. Der Nebel schien noch dichter geworden zu sein. Unter der Jupitersäule blieb er stehen. Die Pflastersteine vor den Tempelüberresten waren vom feuchten Moos glitschig geworden. John Law warf seinen Mantel ab und zog den Degen. Er machte ein paar Bewegungen in der Luft, als versuche er, den Nebel zu durchschneiden. Dann betrat er ein Stück der alten Römerstraße, die Kaiser Claudius in den Fels hatte schlagen lassen, und exerzierte weiter mit dem Degen. Erneut schürfte er mit dem Stiefel auf dem Felsuntergrund hin und her, um den Halt zu prüfen. Es war rutschig. John Law stieg wieder zur Jupitersäule hinunter und betrat das Karree, das die Überreste des Jupitertempels bildete. Als er aufblickte, sah er George Lockhart of Carnwath energischen Schrittes auf sich zukommen.
    »George, lass uns vernünftig sein ...«
    George lachte kurz auf: »Wieso vernünftig, John? Hast du irgendwelche Pläne? Ich habe keine Pläne mehr. Hier oben geht mein letzter Plan in Erfüllung.«
    »George, wir haben uns als Schüler duelliert. Das war ein Nachmittag in unserem Leben, der keine Bedeutung mehr hat.«
    »O doch, John«, schrie George und betrat nun ebenfalls das Karree, während er wütend mit dem Degen durch die Luft fuchtelte, »ich habe dir damals gesagt, dass es noch nicht zu Ende ist und es ist noch nicht zu Ende. Wir bringen es jetzt zu Ende, John.«
    John Law brachte sich in Position und wischte mit dem Fuß ein paar Steine weg: »George, was hat im Leben wirklich Bedeutung? Schau dir diesen Tempel an.«
    Auch George brachte sich in Position: »Nichts, John, rein gar nichts. Deshalb kann genauso gut alles von größter Bedeutung sein.«
    John Law wusste, dass sich ein Kampf nicht vermeiden ließ: »Duellieren ist verboten, George ...«
    »Das braucht dich nicht zu kümmern, John, das ist das Problem des Überlebenden ... Das ist mein Problem.«
    »Du willst einen Kampf auf Leben und Tod?«
    »Ich werde deine Leiche zu diesem Bergsee hinunterschleifen, dir die Kehle durchschneiden und dich dann im See ersäufen. Den dreifachen Tod sollst du erleiden.«
    »Du bist komplett verrückt.Vielleicht gibt es Ärzte, die dir helfen können.«
    »Ärzte!«, fluchte George und ging wütend in Stellung. »Ärzte haben meine Frauen umgebracht. Es waren allesamt Ärzte. Sie erfinden neue Krankheiten und geben ihnen neue Namen. Bin ich etwa krank, weil ich liebe, krank, weil ich hasse? Das ist Leidenschaft, John. Von mir aus könnt ihr diese Krankheit Leidenschaft nennen. Benennt sie nach mir. Das George-Lockhart-Syndrom. Es ist nicht ansteckend, John. Aber tödlich.«
    Wütend stürmte George auf John zu. John parierte und warf George zurück. George lachte kurz auf und stieß einen seltsamen Laut aus. Dann griff er erneut an, heftig, wütend, unbarmherzig. Aber John parierte auch diesen Angriff und stieß George mit beiden Händen von sich. Erneut dieses irre Lachen.
    »Du musst mich töten, John. Wenn du mich loswerden willst, musst du mich töten und verbrennen.« George stürmte erneut los. Nur knapp stach er an Johns Schulter vorbei. John war gerade noch rechtzeitig zur Seite gewichen und hatte seinen leicht gesenkten Fechtarm durchgestreckt.
    George blieb wie versteinert stehen, den Mund halb offen. Kein Laut, kein Schrei. Tränen des Schmerzes liefen ihm über die Wangen. John hatte seinen rechten Oberschenkel durchbohrt. Er ließ seinen Degen fallen. Plötzlich sackte der Kopf nach vorne, als habe man ihm das Genick gebrochen. Er stieß ein leises Wimmern aus, kaum hörbar. Dann fiel er auf die Knie. Die Atmung wurde lauter, verzweifelter. John wich einige Schritte zurück. Georges Oberkörper fiel nach vorne. Dann stöhnte er laut auf vor Schmerzen, biss die Zähne zusammen, presste die Lippen aneinander, versuchte, jegliches Geräusch zu unterdrücken, riss den Mund erneut auf, rang nach Luft und flüsterte: »Es ist nicht vorbei, John.«
    »Ich weiß, George. Wenn du mich heute getötet hättest, wärst du jetzt ganz allein.«
    George begann zu schluchzen: »Es ist nicht vorbei, John.« Er hatte große Schmerzen.
    John nahm Georges Degen und betrat die Straße, die zum Hospiz zurückführte. Erst jetzt sah er die beiden Postreiter, die ihn gestern auf den Pass begleitet hatten, am Wegrand. Offenbar hatten sie die ganze Zeit dagestanden mit ihren reglosen Mienen, die aussahen, als hätte man sie aus dem Fels herausgebrochen. Vom Wind zerfurcht und stumm

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