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Das Große Spiel

Das Große Spiel

Titel: Das Große Spiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claude Cueni
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wie die von vergangenen Jahrhunderten verwitterten römischen Meilensteine entlang der Saumpfade.
    Der Saumpfad, den sie wenig später betraten, führte steil hinter dem Hospiz hinunter. Der Weg über den Großen Sankt Bernhard war wesentlich beschwerlicher als über den Kleinen Sankt Bernhard. Dafür war er kürzer. Bruder Antonius hatte John Law bis ans Ende der gepflasterten Straße begleitet, die hinter dem Hospiz abrupt aufhörte. Die beiden Postreiter waren bereits aufgesessen und schauten ins vernebelte Tal hinunter. Bruder Antonius reichte John Law die Hand.
    »Gott sei mit Ihnen, John Law - auch wenn Sie nicht an ihn glauben«, lächelte der Ordensbruder.
    »Gott basiert auf Vertrauen, Bruder Antonius. Ich vertraue nur den Zahlen, der Mathematik, der nachprüfbaren Formel.«
    »Basiert nicht auch jeder Papierschein, den Ihnen Ihre Banken aushändigen, auf Vertrauen?«
    »Ja, auch Geld aus Papier basiert auf Vertrauen. Aber die Bank, die das Papier unterzeichnet, ist greifbar. Gott ist nicht greifbar.«
    Bruder Antonius schien plötzlich betrübt: »Wollen Sie damit sagen, dass Gott weniger wert ist als ein Stück Papier?«
    »Von Gott kriegen Sie nichts zurück. Nur, was Sie sich einbilden. Von der Bank, die das Papier ausstellt, kriegen Sie Münzen aus Metall zurück.«
    »Haben Sie denn nie in die Augen eines sterbenden Menschen gesehen, John Law?«
    »O, doch, Bruder Antonius. In Edinburgh wird selbst in Friedenszeiten so viel gestorben wie auf den Schlachtfeldern Europas. Ich habe Hunde sterben sehen. Ich habe Pferde sterben sehen. Ich habe sehr viele Menschen sterben sehen. Leider. Geschwister, Onkel, Tanten. Als sie tot waren, waren alle gleich. Es gab nicht den geringsten Unterschied. Sie wurden begraben, verscharrt oder verbrannt; die Hunde, die Pferde, die Menschen. Und es blieb nichts übrig. Nur in der Erinnerung hat das eine oder andere länger überlebt.«
    »Glauben Sie denn wenigstens an die Liebe, John Law?«
    »Ja«, lächelte John, »ich glaube an die Liebe. Wenn ich nicht daran glauben würde, würde ich nicht in dieses Tal hinunterreiten.«
    »Das würde Gott gefallen«, lächelte Bruder Antonius, »ein Bankier, der an die Liebe glaubt.«
    John Law nickte und trieb sein Pferd an. Die beiden Postreiter folgten ihm. Als der eine von ihnen John Law überholte, um voranzureiten, hörten sie in der Ferne laute Rufe und Hundegebell. Jemand hatte einen Verletzten gefunden. John blickte sich um. Er sah Bruder Antonius, der seine Kutte raffte und zurück zum Hospiz rannte.
     

Kapitel IX
    Die Berge wirkten bedrohlich, wild und Furcht einflößend. Wie Giganten aus vorsintflutlichen Zeiten ragten sie in den Himmel. Der Wanderer kam sich vor wie eine kleine Feldmaus auf dem Rockzipfel dieser schlummernden Riesen. Der Abstieg war naturgemäß gefährlicher. Unterwegs begegneten John und seine Begleiter einer Kreatur, die sie zuerst nur als Flecken in der Landschaft wahrnahmen. Dann verloren sie sie wieder aus den Augen. Wenig später tauchte sie hinter einem Felsbuckel wieder auf. Zuerst hielten sie es für ein scheues Tier. Doch es war ein Mensch. Ein Maler, ein Engländer mit einer Staffelei, die er zusammengeklappt auf dem Rücken trug. Ein sonderbarer Kauz, der sich auf dem Weg nach Rom befand. Man sah immer mehr solcher Maler in den Alpen. Sie überwanden den Großen Sankt Bernhard, um auf der anderen Seite des Passes Eingang zu finden in eine neue Welt, die sich ihnen in den italienischen Städten eröffnete. Sie hielten ihren Passüberquerung fest, mit Aquarellen, Kreidezeichnungen, einige auf Öl. Sie malten keine Menschen, keine Tiere, keine Schlösser, sondern Berge, Felsen, Schluchten, Teufelsbrücken, aufziehende Gewitterwolken, ja, sie malten den Wind, die Feuchtigkeit in der Luft, den Duft von nassem Moos und plätschernden Bergbächen, sie malten die Natur.
    Beim Anblick des verlorenen Malers in dieser wuchtigen Felslandschaft empfand John Law erneut dieses aufregende Gefühl des Aufbruchs. In allen Berufen und Wissenszweigen und Kunstrichtungen versuchten Menschen aller Stände und Länder, Neues zu erforschen, Neues zu erfahren, Neues zu vermitteln. Als hätte sich die ganze Welt in geheimer Absprache entschlossen, alle Rätsel dieser Welt zu lösen. Vielleicht, dachte John Law, würde es eines Tages tatsächlich ein neues Buch der Bücher geben, wie einige munkelten, eine Enzyklopädie, in der das gesamte Wissen der Menschheit erstmals vereint wäre.Vielleicht brauchte man dafür

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