Das Große Spiel
leise zu den Steintreppen, die zur Krypta hinunterführten.
»Möchten Sie, dass ich Ihnen die Beichte abnehme?«, flüsterte der Ordensbruder.
»Ich habe gerade erst in Venedig die Beichte abgelegt«, log John Law, »besten Dank, Bruder Antonius. Sie sind sehr gütig.«
Ihre Stimmen hallten in dem Wendelgang wider, als sie die Steinstufen zur Krypta hinunterstiegen. »Hier unten finden Sie die nötige Ruhe und Stille, um sich für das Gebet zu sammeln. In dieser Krypta hat Gott schon manchen Wunsch erhört, John Law. Sie müssen sie nur betreten, in Demut niederknien und Gott bitten.«
John Law bedankte sich erneut mit einem freundlichen Nicken: »Das werde ich tun, Bruder Antonius.«
»Wenn Ihre Seele Frieden und Hoffnung gefunden hat, kommen Sie wieder in den Speisesaal.«
Antonius ließ John Law allein in der Krypta zurück. Der Naturstein war weiß übergipst worden. Wasser tropfte vom niedrigen Gewölbe herab. In dieser unterirdischen Gruft war es noch kälter als oben in der Kirche. Es gab keine Bank zum Sitzen, nur harte Gebetsstühle zum Knien. Also kniete John Law nieder. Er dachte nicht an Gott. Er dachte an Catherine. Er schloss die Augen, um ihre Augen zu sehen, ihren Atem zu riechen. In Gedanken suchte er ihren Mund. Jetzt, wo er sie für immer verlassen hatte, war die Sehnsucht nach ihr heftiger denn je.
»Haben Sie Ihre Wünsche vor Gott gebracht, Monsieur?«, fragte jemand in französischer Sprache, aber mit starkem Akzent. John Law drehte sich um. Hinter ihm stand der Fremde in dem schwarzen Mantel.
»Ich neige nicht dazu, mir Dinge zu wünschen«, antwortete John Law ungehalten.
»Misstrauen Sie Gott?«
»Ich glaube nicht an Gott, Monsieur.«
Der Fremde näherte sich John, ging an ihm vorbei und kniete dann nieder. »Und was hält Sie davon ab, sich Dinge zu wünschen?«
»Ich versuche zu ändern, was ich ändern kann, und zu akzeptieren, was nicht zu ändern ist.« John Law senkte den Kopf, um dem Fremden zu verstehen zu geben, dass er keine weitere Konversation mehr wünschte.
Doch der ließ sich nicht beirren: »Monsieur hat keine Wünsche, weil er sich seine Wünsche selbst erfüllt. Deshalb braucht Monsieur keinen Gott? Monsieur ist sein eigener Gott?«
»Ich bin in diese Krypta gekommen, um Ruhe zu finden«, entgegnete John Law leise.
»Ich finde schon lange keine Ruhe mehr«, entgegnete der Fremde, »deshalb bin auch ich in diese Krypta gekommen. Alle Menschen, die ich geliebt habe, sind tot. Was einmal war, ist für immer vorbei. Meine Frau starb während der Geburt unseres ersten Sohnes, meine zweite Frau starb im letzten Winter. Keines meiner vier Kinder hat den Frühling erlebt. Sie sind alle gestorben. Sinnlos. Eine Laune der Natur.«
»Das tut mir aufrichtig Leid, Monsieur«, entgegnete John Law, »wenn ich Ihnen irgendwie behilflich sein kann ...«
»Alles, was ich je geliebt habe, ist tot. Mir bleibt nur das, was ich hasse, von Grund auf hasse.«
John Law spürte die unterdrückte Gewalt in der Stimme des Fremden.Vielleicht hatte er sich in düsteren Gedanken verirrt und den Verstand verloren.
»Ich störe Ihre Ruhe, Monsieur, ich weiß. Ich bin in diese Krypta gekommen, um Ihre Ruhe zu stören - John Law!«
John Law sprang auf. Der Fremde war schneller. Er stellte sich ihm blitzschnell in den Weg und riss sich die Kapuze vom Kopf. John erkannte George Lockhart of Carnwath. Das verstümmelte Ohr war schlecht vernarbt.
»Du hast mir meine Ruhe gestohlen, John!«, zischte George.
»Bist du verrückt geworden? Vom Teufel besessen? Folgst du mir durch ganz Europa, um alte Geschichten aufzuwärmen?«
George grinste breit. Es gefiel ihm, dass er John Law aus der Fassung gebracht hatte: »Ich kann dich verstehen, John. Monsieur reist durch Europa, amüsiert die Leute an den Pharao Tischen, parliert und causiert, vergnügt sich mit den Damen, verdient nebenbei mit der Lotterie ein Vermögen... und plötzlich kommt dieser lästige Kerl mit dem abgeschnittenen Ohr daher.«
»Was willst du?«, fragte John Law.
George baute sich vor John auf und fixierte ihn: »Genugtuung, Monsieur. Satisfaktion.«
»Wir haben uns duelliert. Du hast verloren. Es ist zu Ende.«
»Es wird nie zu Ende sein, John. Das Duell ist nicht zu Ende. Ich hätte dich heute Nacht im Schlaf erstechen können. Ich habe es nicht getan. Ich will Genugtuung. Ich erwarte dich am Fuß der Jupiterstatue. Vielleicht hilft es, wenn du nun doch noch ein Gebet sprichst.«
John Law schritt entschlossen den
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