Das große Wawuschel-Buch
es dir geht unter der Obhut von Zacharias Löwenherz? Soll ich noch einmal Gnade walten lassen und deine Fesseln lösen?«
Unter diesen blöden Redensarten schnitt er den Bindfaden durch. Wuschel war frei. Allerdings bekam er sofort ein Eimerchen mit Wasser und einen Lappen. Damit musste er die Marmelade wegputzen, die kreuz und quer über den neuen Teppich und die Möbel gespritzt war. Aber das machte ihm nichts aus. Er wäre bereit gewesen, nicht nur den Käfig fünfmal zu putzen, sondern den ganzen Jahrmarkt dazu. Denn Wuschel wusste es genau: Obwohl er immer »Feigling« zu Wischel gesagt hatte, war sie tapfer und klug. Wischel, die Lesen gelernt und die Wawuschels von dem Mamoffel befreit hatte, Wischel würde ihn retten.
9. Kapitel
Fräulein Patzig sieht ein Gespenst
Wischel dagegen war ihrer Sache nicht so sicher. Sie hatte Zacharias Löwenherz gesehen, diesen großen Menschenmann mit seinen riesigen Füßen und Händen und dem feuerroten Bart. Was sollte sie gegen ihn unternehmen? Etwa hingehen und sagen: »Lass meinen Bruder Wuschel frei«? Keine Frage: Zacharias Löwenherz würde sie sofort schnappen und zu Wuschel in den Käfig stecken. Schon bei dem Gedanken daran fing Wischel an zu bibbern. Sie hatte große Angst vor Zacharias Löwenherz.
»Sag du ihm doch, dass er Wuschel wieder hergeben soll«, schlug sie dem Menschenmädchen vor. »Du bist doch ein Mensch wie er.«
Das Menschenmädchen schüttelte den Kopf.
»Was du dir wohl vorstellst! Der gibt mir höchstens einen Fußtritt. Du hast doch selbst gesehen, wie böse er aussieht. Wenn er nicht böse wäre, hätte er Wuschel gar nicht erst eingesperrt.«
Ja, das wusste Wischel auch. Trotzdem, sie konnte doch nicht einfach heimgehen und Wuschel in den Händen dieses schrecklichen Menschenmannes lassen! Noch dazu, wo sie versprochen hatte, ihn aus dem Käfigherauszuholen. Sie dachte an sein trauriges Gesicht, an die Fesseln, an die grölenden Menschen, die ihn anstarrten. Nein, sie musste ihm helfen.
»Gibt es denn niemanden, vor dem der Menschenmann mit dem roten Bart Angst hat?«, fragte sie verzweifelt.
Das Menschenmädchen zuckte die Schultern.
»Höchstens den Bürgermeister. Aber der sitzt im Rathaus. Es ist sehr schwer, zu ihm hineinzukommen. Kinder werden bestimmt gleich wieder weggeschickt.«
Wischel wollte wissen, was das ist, ein Brü-Brüder-Brügermeister.
»Bür-ger-meis-ter«, erklärte das Menschenmädchen, das schon wusste, welche Schwierigkeiten Wischel mit unbekannten Worten hatte. »Der Bür-ger-meis-ter hat am meisten zu sagen in der Stadt. Er ist so etwas Ähnliches wie in einem Land der Präsident oder König, wenn du weißt, was das ist. Oder wie der Vater in der Familie.«
»Bei uns hat aber auch die Wawuschelmutter etwas zu sagen«, wandte Wischel ein.
»Na ja, ist ja auch egal«, sagte das Menschenmädchen ungeduldig, denn wahrhaftig, es war anstrengend, einem Wawuschel Begriffe aus der Menschenwelt beizubringen. »Die Hauptsache ist, dass Zacharias Löwenherz Angst vor dem Bürgermeister hat.«
»Nun gut, dann wollen wir gleich hingehen zu dem Brümeister«, sagte Wischel entschlossen.
Das Menschenmädchen seufzte.
»Bür-ger-meis-ter! Und ich habe dir doch schon erklärt, dass Kinder nicht zu ihm hineinkommen. Es hat gar keinen Zweck, es zu versuchen.«
Damit kam sie bei Wischel schlecht an.
»›Es hat immer Zweck, etwas zu versuchen‹, sagt der Wawuschelvater. Manchmal gibt es im Sommer nur ganz wenig Beeren. Alle Büsche sehen kahl aus. Aber wir, Wuschel und ich, laufen so lange herum, bis unser Korb trotzdem voll ist, und dann kann die Wawuschelmutter Marmelade kochen und wir brauchen nicht zu verhungern. Du hast damals auch nicht geglaubt, dass ich Lesen lerne, und ich habe es doch geschafft. – Und zum Brück … zum Meister komme ich schon hinein.«
Wischel bekam so himbeerrote Backen vor Eifer, dass sich das Menschenmädchen wunderte.
»Du bist wirklich mutig für deine Größe. Und wenn der Bür-ger-meis-ter dich nun einfach behält?«
Nein, das wollte Wischel nicht glauben.
»Du hast doch gesagt, er ist so etwas wie der Wawuschelvater. Unser Wawuschelvater ist gerecht und euer Meister ist bestimmt auch gerecht. So, jetzt esse ich noch Marmelade und dann gehen wir ins – wie heißt das Haus?«
»Rathaus.«
»Gut, ins Rathaus.«
Wischel wollte die letzte Marmelade aus ihrem Rucksack holen. Aber das Menschenmädchen hatte eine Überraschung für sie. Apfelgelee! Weil Wischel doch
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