Das Großelternbuch
Kinder »lügen« und dass in diesem Falle die kleine Maja eigentlich gemeint hatte: Ich wünschte, ich hätte den Blumentopf nicht runtergeworfen. Indem sie sagte: »Ich war das nicht!«, hatte sie die unangenehme Wirklichkeit ungeschehen machen wollen. Besser wäre es gewesen, die Oma hätte einen Weg aus der Missstimmung gefunden, doch das mochte ich ihr nicht sagen, sondern erklärte ihr nur, dass »Lügen« und Lügen nicht dasselbe sei, weil es abhänge vom Alter der Kinder, und dass Maja bestimmt keine »verstockte Lügnerin« sei oder werde.
Lügen haben in den verschiedenen Altersstufen eine unterschiedliche Bedeutung
• Kleine Kinder vor dem Schulalter lügen, weil sie den Unterschied zwischen Dichtung und Wahrheit erst lernen und erfahren müssen, also den Unterschied zwischen Fantasie und Realität. Sie lügen aus überschießender Fantasie und erzählen tolle Geschichten. Die Großmutter kann sich spielerisch darauf einlassen, das Unwahrscheinliche noch betonen und übertreiben, bis ganz deutlich wird, dass die Geschichte nicht wahr sein kann. Dieses Spiel endet in einem großen gemeinsamen Gelächter, und es zeigt, dass man aus Lügengeschichten auch wieder herausfinden kann und wie befreiend das ist. So entsteht Offenheit, von der wir uns wünschen, dass sie zur Lebensgewohnheit wird.
• Vom Schulalter an sind Kinder sensibel für Wahrheit und Lüge. Sie lügen dann aus Angst, aus Scham oder um sich Vorteile zu verschaffen. Will man der Sache auf
den Grund gehen, muss man in die Privatsphäre des Kindes eindringen, seine Autonomie verletzen, und riskiert, das Vertrauensverhältnis zu stören. Die Großmutter muss sich fragen, ob sie diese Verletzungen in Kauf nehmen will. Auch wenn sie sicher ist, dass das Kind gelogen hat, ist es nicht in jedem Falle geraten, ein »Verhör« anzustellen und den Lügner bloßzustellen. Wichtig ist, darüber nachzudenken, warum das Kind meint, lügen zu müssen, und die angstbesetzte Situation freundlich aufzulösen. Es ist besser, nicht aus jeder Lüge eine Staatsaktion zu machen, doch muss man erklären, dass Lügen das Vertrauen belastet und damit das Zusammenleben schwieriger macht.
Die Gründe herausfinden, aber Demütigungen vermeiden
• Größere Kinder mögen versuchen, unangenehmen Situationen zu entgehen, indem sie ein ganzes Gebäude von Lügen errichten. Das beginnt mit Ausreden, warum man die Hausaufgaben nicht machen konnte, und kann sich steigern bis zur gefälschten Unterschrift unter dem Zeugnis. Zu hohe Erwartungen, zu wenig Zuwendung, die Verwirrungen in der Pubertät mögen da zusammenkommen. Wenn die Großeltern von solchen Problemen erfahren, können sie mit freundlichem Verständnis viel zur Entspannung beitragen, sie können versuchen, mit dem Kind gemeinsam das Motiv für seine Betrügereien aufzudecken, und einen Ausweg suchen, bei dem sie jede Demütigung vermeiden.
Wir wollen ja, dass unsere Enkel vertrauensvoll und das heißt auch: ehrlich mit uns sprechen. Darin liegt nicht zuletzt ein Schutz gegen den Missbrauch durch andere. Sie müssen fühlen, dass wir auch in Situationen, die ihnen peinlich sind, freundlich und gelassen reagieren werden, damit sie sich uns anvertrauen, wenn jemand ihnen zu nahe tritt.
Lügen als Alarmsignal
Häufiges Lügen ist ein Alarmsignal, ein Notschrei. Fragen Sie sich zum Beispiel:
• Ist die Erziehung zu streng?
• Ist das Kind überbehütet und kann zu wenig selbst entscheiden?
• Lügen die Eltern, zum Beispiel, weil sie ihre Konflikte vor dem Kind zu verbergen versuchen oder ihm nichts sagen wollen von einer wirtschaftlichen Notlage oder einer schweren Krankheit?
Solche Verhaltensweisen kann man nicht von heute auf morgen ändern, doch kann es die Spannungen abbauen, die um ein lügendes Kind entstehen, wenn die Eltern darauf aufmerksam werden, dass sie oft selbst die Ursache für das Lügen ihres Kindes liefern. Für die Großeltern wird es schwierig sein, die Eltern auf diesen Zusammenhang hinzuweisen; sie müssen wohl auf Hilfe von außen hoffen.
Stehlen ist oft ein Hilfeschrei
Mit dem Stehlen verhält es sich ähnlich; auch Stehlen kann ein Alarmsignal sein. Zunächst gehört es zu den Verhaltensweisen, die alle Kinder einmal ausprobieren, um sie dann wieder fallen zu lassen, weil ihnen die Konsequenzen (Nachfragen, Nachforschen, Heimlichtun und so weiter) unangenehm sind. Schlimm wird es, wenn dann gar nichts geschieht, wenn
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