Das Großelternbuch
die Kinder so wenig eingebunden sind in ein häusliches Umfeld, dass sie tun und lassen können, was sie wollen, ohne dass jemand daran Anstoß nimmt. Dann kann Stehlen zum Notschrei werden: Schaut doch endlich einmal auf mich, beschäftigt euch mit mir! Wenn von Seiten der »Bezugspersonen«, von Vater, Mutter, Großeltern, keine Reaktion erfolgt, gewinnt das Stehlen eine andere Bedeutung: Es verhilft zu Besitz und damit zu Ansehen.
Chronisch lügende Kinder ebenso wie Kinder, für die das Stehlen eine krankhafte Gewohnheit geworden ist, brauchen einen Therapeuten oder Erziehungsberater,
der ihnen und den Eltern aus der Sackgasse heraushilft, in die sie geraten sind.
Muss Strafe wirklich sein?
Strafe als Rache
Hat das Sprichwort Recht, dass Strafe sein muss? In der Blüte der antiautoritären Bewegung war die Antwort ein schlichtes Nein; heute fragt man: Was ist Strafe? Ist jede Reaktion auf ein Fehlverhalten eine Strafe?
Ganz sicher muss vermieden werden, eine Art von Rache am Kind zu nehmen: »Du hast mich verletzt, ich bin wütend auf dich, jetzt sollst du’s zu spüren bekommen, jetzt wische ich dir eins aus!« Dieses Rachebedürfnis wird oft mit Gewalt befriedigt – das Kind bekommt eine Ohrfeige, oder es bezieht Schläge. Gewalt ist wie eine schiefe Bahn, sie lässt den Gewalttätigen immer tiefer abrutschen, sie entehrt ihn, und sie schüchtert das Kind ein. Sie zerstört das Vertrauen zwischen den großen Menschen und den kleinen, die so abhängig sind vom Wohlwollen und der Liebe der großen.
Verbote als Strafe
Verbote sind nicht geeignet, das unerwünschte Verhalten zu verändern: »Du bist zu spät nach Hause gekommen, deshalb darfst du diese Woche nicht mehr fernsehen.« Zwischen dem Fehlverhalten des Kindes und der Reaktion der Eltern besteht kein logischer Zusammenhang, auch hier wird nur deutlich, dass die Erwachsenen die Stärkeren sind, die dem Kind etwas »wegnehmen« können: das Fernsehvergnügen, die Freizeit, das Recht, einen Freund mit nach Hause zu bringen und so weiter.
Liebesentzug als Strafe
Die Bestrafung mit Liebesentzug ist vielleicht die schlimmste: »Du hast das Glas kaputtgemacht, jetzt hat Oma dich nicht mehr lieb!« Was auch immer geschieht,
wie verletzt wir auch sein mögen, dürfen wir uns nie dazu hinreißen lassen, mit dem Entzug unserer Liebe zu drohen. Als Großmütter sind wir da sowieso in keiner starken Position, denn die Enkel sind auf die Liebe ihrer Eltern, nicht so sehr auf die unsere angewiesen, und eigentlich sind wir es, die auf die Dauer von ihrer Liebe abhängig sind.
Grenzen und Regeln müssen respektiert werden
Strafe sollte nicht sein, aber wir müssen Grenzen ziehen und Regeln setzen für die Zeit, in der die Enkel in unserer Wohnung sind oder wir sie betreuen. Wenn wir uns auf nur wenige Regeln beschränken, die wir gut begründen können, wird es leichter sein, sie zu verteidigen und durchzusetzen.
So weit die Theorie. Sie braucht uns eigentlich gar nicht zu beschäftigen, denn wenn die Enkelkinder mit uns zusammen sind, zeigen sie sich fast immer von ihrer besten Seite, und wenn am Ende die besorgte Mutter etwas ängstlich fragt: »Na, wie waren sie denn?«, können wir meistens versichern: »Ach, sie waren so reizend!« Doch nicht immer haben wir das Glück, die Kinder nur von ihrer besten Seite zu erleben. Bei den trotzigen Drei- bis Fünfjährigen kann es vorkommen, dass sie die Oma oder den Opa mit schlimmen Wörtern bedenken.
Strafen können zu Konflikten mit den Eltern führen
Meiner Freundin passierte das Folgende: Die beiden Enkelkinder hatten den Nachmittag über bei ihr gespielt, nun wollte sie sie nach Hause bringen. Die beiden, sechs und acht Jahre alt, liefen ihr voraus, rannten ihr im Spaß davon und über eine sehr gefährliche Kreuzung, ohne nach rechts oder links zu schauen. Auf der anderen Seite blieben sie lachend stehen und warteten auf die Oma, die, außer sich vor Schreck, dem einen Mädchen eine Ohrfeige gab. Bedrückt gingen alle drei weiter bis zum Haus der Eltern, die Oma verabschiedete sich und bekam später einen gereizten Anruf
ihrer Schwiegertochter: »Du darfst meine Kinder nicht schlagen!«
Die Oma ist zu verstehen mit ihrer entnervten Reaktion, und die Mutter hat Recht, dass niemand Kinder schlagen soll. So ist eine hässliche Spannung entstanden. Hätten beide es besser machen können? Die Mutter hätte wohl ein bisschen verständnisvoller reagieren
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