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Das gruene Gewissen

Das gruene Gewissen

Titel: Das gruene Gewissen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Moeller
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Tradition favorisierte Zivilisationsbegriff umfasst hingegen den Stand der Technik, Wissenschaft und Weltanschauung.“  43
    Die Bildungsdiskurse des vergangenen Jahrhunderts und die Dünkelhaftigkeit der „alten“ Fakultäten gerade gegenüber den Ingenieurwissenschaften als Fach für Aufsteiger sind darum vielleicht passé. Technik ist für die Deutschen aber Konsumgegenstand geblieben – Gegenstand gesellschaftsfähiger Bildung ist sie bis heute nicht. 44 Es ist die gewollte Technik ferne , die nicht anders als in den Debatten vergangener Jahrzehnte in den gesellschaftlichen Peer Groups zum guten Ton gehört. Und sie dürfte angesichts der Dynamik der technischen Welt und der digitalen Verfügbarkeit von „Wissen“ zunehmen, auch wenn sich dies nur schwer belegen lässt.
    Die Deutlichkeit heutiger Distinktionsversuche mag darum eine andere sein. Der Habitus erinnert jedoch noch immer an eine Zeit, als der Romanist Ernst Robert Curtius einen Ruf an die neue Technische Hochschule Aachen mit den Worten ablehnen konnte, er bringe es nicht übers Herz, von einem Professor für Heizungsbau mit „Herr Kollege“ gegrüßt zu werden. Und doch entgehtman der modernen Technik nicht, möchte man in Anlehnung an den Schriftsteller Max Bense antworten, indem man die Physik bewusst verlernt.

Green German Angst: Wo wir heute stehen
    Die großen Auseinandersetzungen um die Startbahn West habe ich ebenso wenig miterlebt wie die bürgerkriegsähnliche Blockade von Wackersdorf. Ich kenne sie nur aus Büchern und Erzählungen – so wie ich die Bilder von sich an Gleise kettenden Anti-Castor-Aktivisten aus dem Fernsehen kenne. Die siebziger Jahre können als Keimzelle von Protesten und Bürgerbeteiligungen im großen Stil angesehen werden, auch wenn sie viel später zum Gegenstand einer breiten Öffentlichkeit geworden sind. So fasste die regierende SPD bereits 1975 den Beschluss, einen Bürgerdialog Kernenergie ins Leben zu rufen. Aber es fehlte ihm das Gewicht der Publizität und Bildhaftigkeit in Gestalt des Schlichters Heiner Geißler oder des Opfers des Wasserwerfer-Einsatzes der Stuttgarter Polizei, David Wagner, der eine Augenverletzung erlitt und zum medialen Symbol der unsinnigen Gewalteskalation wurde.
Technikkritik als Domäne der Rechten
    Die Wirkung von Bildern hat durch das Fernsehen eine besondere Eingängigkeit bekommen – gerade wenn es um die verheerende Wirkung der Technik geht, die anders als die Natur sehr abrupt sein kann. Es war zu Beginn der neunziger Jahre, als man in Echtzeit mitverfolgte, wie amerikanische Panzer in Kuwait vorrückten. Die ersten Bomben fielen auf Bagdad, und man sah das Blitzen der Flakgeschütze zum Frühstück. Als die Twin Towers am 11. September in sich zusammenfielen, stand ich in einem Kaufhaus und ging vor die Fernsehwand. Es war nicht wie Kino, bei dem die Länge des Films vorgegeben und sein Ausgang zumindest den Machern bekannt ist: Es war dadurch beklemmend, dass niemand wusste, wie lange es dauern und was als Nächstes kommen würde. Bis heute haben wir dieselben Bilder der beiden Flugzeugeinschläge unzählige Male gesehen, sodass es scheint, als hätten sie ein wenig ihres Schreckens verloren.
    Diese Form der Anteilnahme, die Faszination an Urgewalten, Untergang und dem Abgründigen, galt in der deutschen Geschichte des 20. Jahrhunderts für Technik und Natur gleichermaßen, wenn man etwa an Ernst Jüngers Schilderungen der brennenden Marina in den Marmorklippen oder die Ästhetisierung des bombardierten Paris in seinen Tagebüchern des Zweiten Weltkriegs denkt:
    „Vom Dache des ‚Raphael‘ sah ich zweimal in Richtung von Saint-Germain gewaltige Sprengwolken aufsteigen, während Geschwader in großer Höhe davonflogen. […] Beim zweiten Mal, bei Sonnenuntergang, hielt ich ein Glas Burgunder, in dem Erdbeeren schwammen, in der Hand. Die Stadt mit ihren roten Türmen und Kuppeln lag in gewaltiger Schönheit, gleich einem Kelche, der zu tödlicher Befruchtung überflogen wird. Alles war Schauspiel, war reine, von Schmerz bejahte und erhöhte Macht.“ 45
    Ein skeptisches Technikbild, das wir heute im Zusammenspiel mit Globalisierungs-, Kapitalismuskritik und Ökologie als politisch eher „links“ motiviert kennen, ist bis in die sechziger Jahre eine Domäne der konservativen oder gar rechtsintellektuellen Kräfte gewesen. Denn entsprechende Argumente standen in einer Tradition der Heimatschutzbewegung und anderer Programmpunkte der „reaktionären

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