Das gruene Gewissen
Modernisierung“ nach 1933. Der Naturschutz war nicht erst durch die NS-Gesetzgebung – etwa das 1933 bzw. 1935 erlassene Reichstierschutz- und Reichsnaturschutzgesetz – affin für die Unterwanderung durch heimatliche Ideologien bis hin zur Mythisierung des Bodens, der Kreatur und des einfachen, natürlichen Lebens. 46
Während die politische Linke lange vor Anbruch des vergangenen Jahrhunderts ihre Fortschrittsutopien an Wissenschaft und Technik heftete (und dann einsah, dass die Ökonomisierung der Technik zur Festigung bestehender Verhältnisse beitrug), stand das konservative Denken dem Geschichtsoptimismus seit jeher skeptisch gegenüber. Es lehnte den Glauben an eine Fortschrittsidee ab, die mit der möglichen Verbesserung der sozialen Verhältnisse einherging.
Die Aufwertung des Ländlichen und der Provinz war darum ein Topos der Konservativen und Rechten, während die Großstadt – allen voran Berlin – die negativen Seiten der Moderne verkörperte, ihre Unübersichtlichkeit und Strukturlosigkeit – Eigenschaften, die ihr unter dem Stichwort virtuelle Stadtflucht auch heute noch zugeschrieben werden. Der Nationalsozialismus war dabei aber keineswegs, wie gern unterstellt, eine technikfeindliche Bewegung.
Er zeigte zwar romantische Züge ganz bewusst zu Propagandazwecken, um ein verunsichertes Bürgertum an sich zu binden. Er trug, wie der Technikphilosoph Klaus Kornwachs unterstreicht, aber nie die Sehnsucht nach einer verlorenen oder gar vorindustriellen Gesellschaft in sich. 47
Die bäuerliche Idylle, die aus einer kaum überschaubaren Zahl deutscher Heimatdichtung bis 1945 spricht, dokumentiert so lediglich die Indienstnahme der Natur als antimodernes Statement, in dem die Dinge noch ihren Platz haben und „organisch“, sprich: vernünftig angeordnet sind. Und auch gegenwärtig finden sich für eine antiglobalistisch und antikapitalistisch eingestellte rechte Bewegung Anknüpfungspunkte zum Schutz von Region und Heimat und der Abwehr des Fremden, vor allem aber der Entsagung gegenüber materialistischen Glücksversprechen.
Dieser Blick auf die Natur änderte sich erst ab den sechziger Jahren. Aus lokalen Umweltbeeinträchtigungen wurden durch die moderne Industrie und Landwirtschaft zunehmend regionale oder sogar nationale Probleme – in Deutschland übrigens nicht anders als in anderen europäischen Staaten. 48 Das Ende der Wachstums- und Fortschrittseuphorie stellte darum einen Scheitelpunkt der Umweltbewegung dar, die sich zunehmend als globalisierungskritisch verstand.
Die Globalisierung der Natur
1970 fand die erste UN-Umweltkonferenz in Stockholm statt. Zeitgleich rief der Europarat das erste Europäische Naturschutzjahr aus, das den Beginn politischer Umweltschutzkampagnen bedeutete. So wurde 1970 mit dem Nationalpark Bayerischer Wald der erste deutsche Nationalpark gegründet, rund einhundert Jahre nach dem Yellowstone National Park in den USA, ein halbes Jahrhundert nach den ersten Parks in Schweden und der Schweiz. Dahinter steckte nicht eine geringere Wertschätzung für den Naturschutz, wie man vermuten könnte, sondern die andernorts frühzeitiger erkannte Vermarktungswirkung von ansonsten wirtschaftlich unattraktiven Regionen; darum wird es an späterer Stelle noch einmal gehen.
1972 veröffentlichte eine Autorengruppe um Dennis Meadows vom Massachusetts Institute of Technology die Grenzen des Wachstums im Auftrag des Club of Rome und untersuchte die Abhängigkeit von Bevölkerungswachstum, Rohstoffbedarf und Umweltzerstörung. Erstmals wurde auf breiter Ebene ein direkter Zusammenhang von Wirtschaftswachstum, Rohstoffhunger und negativen Umweltfolgen hergestellt.
So erfasste 1973 die erste große Ölkrise in Folge des Jom-Kippur-Krieges auch Deutschland. Die arabischen Staaten drosselten ihre Rohölproduktion. Davon blieben im kollektiven Gedächtnis vor allem Bilder leerer Autobahnen in Mitteleuropa zurück. Die Bundesregierung reagierte unter anderem mit einem Energieprogramm, in dem ein deutlicher Ausbau der nuklearen Kraftwerkskapazitäten genannt wurde. Nicht anders als heute beim Ausbau der Windkraft, sah man die Beschleunigung der Planungs- und Genehmigungszeiten als einen Schlüssel für den Umbau des Energiesystems an. Vor dem Hintergrund einer stärkeren Autonomie der Energieversorgung entstanden viele der heute noch am Netz befindlichen oder nach dem März 2011 stillgelegten Kraftwerke in den siebziger Jahren, insbesondere in den großen Bedarfszentren des
Weitere Kostenlose Bücher