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Das gruene Gewissen

Das gruene Gewissen

Titel: Das gruene Gewissen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Moeller
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pauschalen Technologie- und Fortschrittsgläubigkeit der Nachkriegszeit hin zu einer nahezu technikübergreifend anzutreffenden Verweigerungshaltung vollzogen hat.
    Die Begeisterung der Menschen ist ungebrochen groß für das, was die Akzeptanzforscher „Alltagstechnik“ nennen: Smartphones, Spielkonsolen, digitale Fernseher, Autos – eine Technik, die unsere Emotionen anspricht und unser Bewusstsein insofern erweitert, als sie neue Erfahrungs- und Möglichkeitsräume schafft, und das eingedenk der gewünschten Überschreitung und Außerkraftsetzung der „natürlichen“ Grenzen von Raum und Zeit. Hier sind die Deutschen ausgesprochen technikaffin.
    Hinterfragt werden jedoch all jene Techniken, denen wir zutrauen, dass sie uns kollektiv schädigen könnten. Der Widerstand gegen diese Art von Technik formiert sich in Deutschland seit langem geradezu konfessionell und breitenwirksamer als irgendwo sonst – und das, obwohl das Renommee Deutschlands in der Welt nicht unwesentlich von der Technik abhängt. Ob Grüne Gentechnik, Nanotechnologie, Abscheidung oder unterirdische Verpressung von Kohlendioxid, die Ingenieure Carbon Capture and Storage nennen und um die es im nächsten Kapitel gehen wird: Die gefühlten Risiken überwiegen alle anderen Aspekte bereits im Vorfeld. Seit dem verstärkten Ausbau der erneuerbaren Energien sind auch diese nicht mehr ausgenommen von Widerständen, wenngleich die Akzeptanz an sich hoch ist. Diese Tendenz wird sich verschärfen, wenn etwa durch das Abschalten von regionalen Grundlastkraftwerken verstärkt Trassen wie die energiewirtschaftlich bedeutsame Thüringer Brücke gebaut werden müssen.
    Durch die Ausbauziele der erneuerbaren Energien haben sich die Deutschen wieder sehr stark in die Nähe des Staates begeben. Sie sind wieder in einer Weise technikgläubig und auch technikabhängig geworden, die unter umgekehrten Vorzeichen an die Fortschrittsbegeisterung und Wohlstandseuphorie der Nachkriegszeit erinnert. Denn obwohl dieser Punkt bei Umfragen gegenüber der allgemeinen Bejahung der Energiewende in den Hintergrund tritt, sind eine Veränderung der eigenen Lebensräume und eine Steigerung der Energiekosten ohne Kompensationen für immer weniger Menschen tragbar. 50
    Wir stehen hier vor einem ähnlichen Phänomen wie bei der Vereinnahmung der Natur: Die Zahl der klassischen Industriearbeitsplätze in Deutschland ist in den vergangenen Jahren immer weiter zurückgegangen. Sie sank nach Angaben des Statistischen Bundesamts 2010 erstmals unter fünf Millionen, nur die Hälfte des Werts von der Zeit der Wiedervereinigung. Gleichzeitig hören wir, aus der Distanz, von großen Umbrüchen im industriellen Sektor.
    Immer weniger Menschen können Forderungen nach dem Erhalt von „Innovationskraft“ oder „Wettbewerbsfähigkeit“ eine empirische und emotionale Bedeutung abgewinnen, weil sie in Dienstleistungsberufen arbeiten. Und vielleicht hat diese Ferne nicht unwesentlich mit der gestiegenen Risikowahrnehmung „ferner“ Großtechnologien im Gegensatz zur Nähe dezentraler Energietechnologien zu tun, um die es im nächsten Kapitel gehen wird. Möglicherweise ist ihre Akzeptanz in Wahrheit kein Ausdruck eines ökologischen Denkens, sondern des Wunsches nach Verständlichkeit und technischer Beherrschbarkeit, der ein elementares Bedürfnis ist.
    Unter dem Strich ist die Frage der gesellschaftlichen Akzeptanz der Technik somit vielschichtiger geworden. Unternehmen und Wirtschaftsverbände haben die Bedeutung der Bürgerbeteiligung für die Umsetzung technologischer Innovationen erkannt. Ministerien investieren Millionen in Kampagnen und Dialogformate, um einer generellen Abwehrhaltung gegenüber Großtechniken durch die frühzeitige Einbindung entgegenzuwirken, was richtig und notwendig ist. Staatlich garantierte Renditen für vom Netzausbau betroffene Gemeinden sind auf der politischen Agenda. Es dämmert den Entscheidungsträgern, dass nicht wie früher ein Mehr an Erfindergeist und Produktivität, sondern soziale Verträglichkeit zum limitierenden Faktor für die Innovationskraft Deutschlands werden wird. Das ist, wenn man so will, ein Fortschritt.
    Und doch hat sich etwas verändert, das bei der Suche nach mehr Partizipation ausgeblendet wird. Bei immer mehr Menschenlösen die technische Durchwirkung aller Bereiche des Lebens und die Schnelligkeit des Wandels ein Befremden aus, auch wenn sie nicht auf die Straße gehen, sondern mit dem Kauf von Zeitschriften dokumentieren, wie

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