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Das gruene Gewissen

Das gruene Gewissen

Titel: Das gruene Gewissen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Moeller
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Kernkraftwerksbetreiber, dies kann man Milkers Magisterarbeit entnehmen, haben daher in den siebziger Jahren verstärkt auf die Erfahrung vor Ort mit Besuchergruppen gesetzt. 74
    Die Begegnung mit einem Kraftwerk, das so alt ist wie man selbst, ist auch ein Rundgang durch die Technikgeschichte. Man kann diese Erfahrung nur noch selten machen, wenn man moderne Büros oder Technologien gewohnt ist, die schnell und dann in einem Stück in die Welt kommen. Manchmal, etwa in Schleswig-Holstein, kann man zwei oder drei Generationen von Windturbinen nebeneinander entdecken. Aber das ist nicht das Gleiche wie hier: Überall an den Anlagenteilen sind Schilder von Spezialfirmen zu sehen, zumeist Mittelständler aus dem süddeutschen Raum, ich habe die Namen noch nie gehört. Eine Firma Noell aus Würzburg etwa hat die meterdicke Sicherheitsschleuse in das Reaktorgebäude gebaut, die aussieht wie der Einstieg in einen Safe tief unter der Erde. Der 1824 gegründete kleine Schmiedebetrieb heißt heute Babcock Noell.
    Beim Hinausgehen muss man durch eine Monitor-Kabine mit klar umgrenzten Fußflächen, wie man sie aus vielen Weltraum-Filmen kennt. Nachdem sich die Glastür geschlossen hat, zählt eine Frauenstimme die Zahlen von zehn bis eins und ermahnt einen mit „Bitte näherkommen“, sobald man den Kopf vor lauter Verwunderung gedreht hat. In der Zwischenzeit stecken beide Hände und Arme in einem Geigerzähler-Metallkäfig, der an die Bocca de la Verita in Rom erinnert. Man hofft, dass man sie sicher wieder herausziehen kann. Die grüne Turbine im Gebäude nebenan, sie ist von Siemens, hat eine Schwungmasse von eintausend Tonnen. Es vibriert in den Knochen, während man sich am Geländer festhält. Dies ist Maschinenkraft in ihrer ursprünglichen, der mechanischen Bedeutung. Man bekommt eine Ahnung von dem, was sie antreibt.
    Und dann stehen wir auch schon inmitten des stillgelegten Kühlturms und reden über die Natur und die auf dem Gelände gelagerten gebrauchten Brennelemente. Seit der rot-grünen Koalition, genauer gesagt seit der Änderung des Atomgesetzes im Jahr 2000, dürfen sie nicht mehr zu Wiederaufbereitungsanlagen nach Frankreich und Großbritannien, nach Le Hague und Sellafield transportiert werden. Denn die Semantik des Wortes „Wiederaufbereitung“ legte nahe, dass noch etwas mit den abklingenden Brennstäben geschehen könne. So belässt man sie auf dem eigenen Gelände, setzt auf das Abklingen, den natürlichen Zerfall, der endlos lange dauert, bis sie irgendwann einmal in ein Endlager transportiert werden können. Wenn es dieses dann gibt. Der Bedarf an radioaktivem Material, schätzen Ingenieure, könnte verringert werden, wenn man das alte aufbereiten würde.
    In der Folge entsteht nun mehr Abfall, der in Zwischenlagern aufbewahrt wird. Auch das aber ist, wenn man die Kerntechnik im Ganzen betrachtet, letztlich eine Spitzfindigkeit gemessen am Entsorgungsproblem bei uns und weltweit. Vielleicht hat man zeitlebens unterschätzt, welche Gefahr für die Akzeptanz der Technologie durch die Hinauszögerung auch politischer Entscheidungen entstehen würde.
Nachdenken über Artenvielfalt
    Milker erzählt mir, dass am Auslauf des Kraftwerks in den Rhein manchmal Angler zu sehen seien. Ich kenne dieses Bild von den Brücken Berlins und von Industrieanlagen, die Flüssen warmes und nährstoffreiches Wasser zuführen. Im Niehler Hafen in Köln,einer absurden Kulisse, soll man gute Zander fangen. Es ist eine Umkehrung unseres üblichen Blicks auf die Natur, der Fische vor allem in „schönen“ Landschaften wie der Prignitz am Rhin vermutet.
    Tatsächlich ging ich als Angler oft leer aus, wenn die Gewässer nicht bewirtschaftet wurden und besonders „naturbelassen“ waren. Mein Vater hat darüber gewitzelt und gefragt, wann ich endlich mit ihm an die Petribrücke kommen würde, wo er jedes Mal große Barsche fing und direkt an der Angelstelle parken konnte. Ich wollte nie so angeln, aber ich musste anerkennen, dass etwas an meiner Vorstellung von Natur weitergehende Fragen auch für andere, größere Themen als das Angeln aufwarf. Einer der Zeugen der Stadtschreiberin Annett Gröschner hatte davon berichtet, dass es einer Attraktion gleichkam, zu Silvester mit den Skiern zum Kernkraftwerk Rheinsberg zu fahren, um dann im 18 Grad warmen Wasser des Auslaufkanals zu baden.
    Vielleicht hängen wir bei unserer Bestandsaufnahme der Welt Täuschungen an. Das Verschwinden mancher Tierarten nehmen wir als weiteres

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