Das gruene Gewissen
Indiz für die in uns wachsende Ahnung, dass der Mensch seine Umwelt sukzessive zugrunde richtet. Nicht anders als beim Klimawandel gebrauchen wir diese Vermutung mit Vehemenz gegen uns selbst.
Dass wir Spuren hinterlassen haben und jede nur denkbare natürliche Dynamik gewissermaßen katalysieren, ist unbestreitbar. Ich kenne die Erzählungen vom Fischreichtum der Ostsee vor vierzig Jahren. Sie sind empirisch belegbar, so wie ich das Vorhandensein großer Flusskrebse in unserem See empirisch belegen kann. Und doch gibt es Einflüsse und Veränderungen, denen wir mit einer permanenten Überprüfung des vermeintlichen Status quo ante nicht auf die Spur kommen.
Die institutionelle Flankierung der Biodiversität durch Fachgruppen, Kommissionen, Abteilungen ist in ihrer Größe durchaus vergleichbar mit jener Armada vom Weltklimarat bis zu den lokalen Verantwortlichen in Kommunen für die Umsetzung von Klimaschutzmaßnahmen. Diesem Aufgebot an Schutzbemühungen liegt vordergründig der Gedanke zugrunde, das in die Welt gebrachte Tableau der Arten, das wir aus der Rückschau immer als unveränderlich betrachten, in dieser Formation zu erhalten. Tatsächlich wird die Natur hier spiegelbildlich für die Angst vor Zerstörung und Verlust herangezogen, die uns zu eigen ist und die sich durch die technische Beschleunigung vergrößert. Was uns dabei streng genommen entgeht, bringt der Münchner Ökologe Joseph R. Reichholf in sehr drastischen Worten auf den Punkt: „Die Natur verliert nichts, weil sie keine Person im Sinne des Menschen ist.“ 75
Neben Reichholf hat der Journalist Cord Riechelmann in einem Buch mit dem Titel Wilde Tiere in der Großstadt auf der phänomenologischen Ebene gezeigt, wie wandelbar der Begriff der Arten und ihrer angestammten Umgebungen ist. Inmitten der vom Menschen geprägten Umwelt ist die Artenvielfalt bekanntlich oftmals höher als in den dafür vorgesehenen Räumen einer „ursprünglichen“ Natur. Es mag unser angestammtes, an Darwin und den Historismus des 19. Jahrhunderts angelehntes Bild der Natur stören. Wer eine vergangene Welt konservieren will, kann sich vielleicht schwerer an Marder unter Autos, Waschbären und Füchse in Mülltonnen, Wildschweine auf Fußballplätzen oder Falken und Felsenbrüter in Hochhausnischen gewöhnen. Und doch ist in dieser Wanderungsbewegung ein tröstlicher Gedanke der Adaption an Lebenswelten enthalten: Wo Wildtiere aufgrund von Flurbegradigungen oder des Pestizideinsatzes in der Landwirtschaft keinen Unterschlupf oder keine Nahrung mehr finden, ziehen sie weiter. Ökologen wie Reichholf stellen die Konzeption des Naturschutzes deshalb in Frage, weil diese das Konservieren zur einzigen Prämisse macht.
Natur aber verändert sich, auch unter menschlichem Einfluss. Unsere Wälder werden möglicherweise wieder Gefahren bergen, wie man sie über Jahrhunderte, vielleicht Jahrtausende mit Wäldern in Deutschland verband. In einigen Regionen des Nordostens ist Kot von Wölfen gefunden worden, die man einst ausgesetzt hatte, um sie wieder anzusiedeln. Nun haben Eltern Angst, abends mit ihren Kindern im Wald zu spazieren oder diese in den Wald zum Spielen zu schicken. „In Berlin kann man so viel erleben“, textet Rainald Grebe in seinem tragikomischen Lied Brandenburg . „In Brandenburg soll es wieder Wölfe geben.“
Manchmal liegen den Wanderungen jedoch auch Überpopulationen zugrunde, die viele Füchse zwingen, ihr Heil in den Städten zu suchen. Die urbanen Gegebenheiten dienen dann geradezu als Schutz vor den schädlichen Einwirkungen der Natur, nicht des Menschen. Es mag kurios klingen, aber es ist der scheinbar unberührte Naturraum, der für Tiere eine Gefahr bedeuten kann, in dem sie anderen Tieren und Seuchen ausgesetzt sind, nichts zu fressen finden oder erfrieren, während die vom Menschen veränderte Natur komfortable und vor allem vom Wetter und den Jahreszeiten vollkommen unabhängige Lebensbedingungen bietet. Hierin stecken durchaus Parallelen zum menschlichen Verhalten: „Für Menschen ist Landflucht seit Jahrhunderten eine Möglichkeit, Lebensverhältnissen auszuweichen, die als ungesund oder rigide empfunden werden“, schreibt Riechelmann. „Pflanzen und Tiere folgten diesem Beispiel erst spät.“ 76
Diese Entwicklung kann man überall auf der Welt beobachten, wo Parks zu neuen Habitaten werden. Die Temperatur der Städte ist oftmals höher, die Wachstumsperioden der Pflanzen dauern länger. Auf dem Meer bilden
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